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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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Nana
    schlief, nichts Heiteres an sich hatte. Zwischen
    dem Bett der Kleinen und ihrem eigenen war
    gerade noch Platz für zwei Stühle. Die Tapete
    an den Wänden, eine alte, verschossene, graue
    Tapete, hing in Fetzen herab. Die runde Luke
    in der Nähe der Decke ließ trübes und fahles
    Kellerlicht hereinfallen. Da drin quälte man
    sich ganz hübsch, besonders jemand, der nicht
    atmen konnte. Wenn Schlaflosigkeit sie in der
    Nacht befiel, horchte sie noch, wie die Kleine
    schlief, und dies war eine Ablenkung. Aber am
    Tage murrte sie, da man ihr nicht von morgens
    bis abends Gesellschaft leistete, sie weinte und
    sagte stundenlang immer wieder vor sich hin,
    während sie den Kopf auf dem Kissen hin und
    her wälzte:
    »Mein Gott, was bin ich unglücklich! – Mein
    Gott, was bin ich unglücklich! – Im Gefängnis,
    ja, im Gefängnis, da lassen sie mich sterben!«
    Und sobald Besuch zu ihr kam, Virginie oder
    Frau Boche, um sie zu fragen, wie es mit ihrer
    Gesundheit stehe, antwortete sie nicht und
    schnitt sofort das Thema ihrer Klagen an.
    »Ach, teuer ist das Brot, das ich hier esse!
    Nein, bei Fremden würde ich nicht soviel
    auszustehen haben! – Sehen Sie, ich habe eine
    Tasse Kräutertee haben wollen, na, und da hat
    man mir einen ganzen Wassertopf voll
    gebracht, eine Art und Weise, mir
    vorzuwerfen, daß ich zuviel Kräutertee
    trinke ... Es ist wie mit Nana, diesem Kind, das
    ich aufgezogen habe; morgens läuft sie barfuß
    davon, und ich sehe sie nicht mehr wieder.
    Man könnte meinen, ich stinke. Doch nachts
    schläft sie tüchtig, nicht ein einziges Mal
    würde sie aufwachen, um mich zu fragen, ob
    ich Schmerzen habe ... Kurzum, ich bin ihnen
    lästig, sie warten, daß ich verrecke. Oh, das
    wird bald geschehen sein. Ich habe keinen
    Sohn mehr, die Wäscherin, diese Schurkin, hat
    ihn mir genommen. Sie würde mich schlagen,
    sie würde mir den Rest geben, wenn sie nicht
    Angst vor dem Gericht hätte.«
    Gervaise zeigte sich tatsächlich zuweilen ein
    wenig grob. Mit der Bude ging es schief,
    jedermann verbitterte darin und scherte sich
    beim ersten Wortwechsel zum Teufel.
    Coupeau hatte eines Morgens, als er
    Katzenjammer hatte, ausgerufen: »Die Alte
    sagt immerzu, sie stirbt bald, und dabei stirbt
    sie nie!« – ein Ausspruch, der Mama Coupeau
    ins Herz getroffen hatte. Man warf ihr vor, was
    sie kostete, man sagte seelenruhig, wenn sie
    nicht mehr da sei, so wäre das eine große
    Ersparnis. Freilich, sie benahm sich auch
    nicht, wie sie sollte. So weinte sie Blut und
    Wasser, wenn sie ihre älteste Tochter, Frau
    Lerat, sah, und beschuldigte ihren Sohn und
    ihre Schwiegertochter, sie ließen sie
    verhungern, und dies alles nur, um ihr ein
    Zwanzigsousstück zu entlocken, das sie für
    Leckereien ausgab. Auch mit den Lorilleux
    machte sie abscheuliche Klatschereien, indem
    sie ihnen erzählte, wofür ihre zehn Francs
    drauf gingen: für die Launen der Wäscherin;
    für neue Hauben, für Kuchen, die in den Ecken
    gegessen wurden, und für schmutzigere Dinge
    sogar, die man nicht zu nennen wage. Zwei
    oder dreimal hätte sie es beinahe dahin
    gebracht, daß sich die ganze Familie
    geschlagen hätte. Bald hielt sie es mit den
    einen, bald hielt sie es mit den anderen;
    kurzum, das wurde ein richtiger Schlamassel.
    Mitten in ihrem heftigsten Anfall in diesem
    Winter zwinkerte Mama Coupeau eines
    Nachmittags Frau Lorilleux und Frau Lerat,
    die sich an ihrem Bett getroffen hatten, zu, um
    ihnen zu bedeuten, sie sollten sich zu ihr
    herabbeugen. Sie konnte kaum sprechen. Mit
    leiser Stimme hauchte sie:
    »Das ist ja eine saubere Geschichte! – Heute
    nacht habe ich die beiden gehört. Ja, ja,
    Hinkebein und den Hutmacher ... Und
    getrieben haben die's! Coupeau ist schön dran.
    Das ist ja eine saubere Geschichte!« Hustend
    und fast erstickend, erzählte sie in kurzen
    Sätzen, ihr Sohn müsse gestern abend wohl
    sternhagelvoll nach Hause gekommen sein. Da
    sei sie sich, weil sie nicht geschlafen habe,
    über alle Geräusche sehr gut klargeworden:
    Hinkebeins nackte Füße, die über den
    Fliesenfußboden tappten, die zischende
    Stimme des Hutmacher, der sie rief, die
    Verbindungstür, die leise zugestoßen wurde,
    und das übrige. Das müsse bis zum
    Tagesanbruch gedauert haben, sie wisse die
    Uhrzeit nicht genau, weil sie trotz ihrer
    Bemühungen schließlich eingeschlummert sei.
    »Das Ekelhafteste daran ist, daß Nana es hätte
    hören können«, fuhr sie fort. »Gerade diesmal
    hat sie sich die

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