Der Todschlaeger
ganze Nacht hin und her
bewegt, wo sie doch gewöhnlich ganz fest wie
ein Murmeltier schläft; sie fuhr hoch, sie
drehte sich um, als ob glühende Kohlen in
ihrem Bett gelegen hätten.«
Die beiden Frauen schienen nicht überrascht.
»Bei Gott!« murmelte Frau Lorilleux. »Das
muß am ersten Tage angefangen haben ... Da
es Coupeau nun mal gefällt, haben wir uns
nicht einzumischen. Gleichviel, für die Familie
ist das nicht gerade ehrenvoll.«
»Wenn ich da wäre«, erklärte Frau Lerat, die
Lippen zusammenkneifend, »dann würde ich
ihr Angst machen, ich würde ihr irgend etwas
zurufen, ganz gleich was: ›Ich sehe dich!‹ oder
auch: ›Die Gendarmen sind da!‹ – Das
Dienstmädchen eines Arztes hat mir gesagt,
ihr Herr hätte ihr gesagt, das könne eine Frau
in einem gewissen Augenblick auf der Stelle
töten. Und wenn sie auf der Strecke bliebe, so
geschähe ihr das recht, nicht wahr, sie wäre
damit bestraft, worin sie gesündigt hat.«
Bald erfuhr das ganze Viertel, daß Gervaise
wieder jede Nacht Lantier aufsuchte. Frau
Lorilleux trug vor den Nachbarinnen eine
lärmende Entrüstung zur Schau; sie bedauerte
ihren Bruder, diesen Einfaltspinsel, dessen
Frau immerzu fremd gehe; und wenn sie einen
solchen Saustall überhaupt noch betrete, so
geschehe das ihrem Reden nach einzig und
allein ihrer armen Mutter wegen, die
gezwungen sei, inmitten dieser
Schändlichkeiten zu leben. Da fiel das Viertel
über Gervaise her. Sie mußte es gewesen sein,
die den Hutmacher verleitet hatte. Das sah
man ihr an den Augen an. Ja, trotz der
häßlichen Gerüchte blieb Lantier, dieser
verdammte Schleicher, beliebt, weil er sein
Gehabe eines feinen Mannes jedermann
gegenüber beibehielt, Zeitung lesend auf den
Bürgersteigen entlangschritt, zu den Damen
zuvorkommend und galant war und stets
Plätzchen und Blumen zu verschenken hatte.
Mein Gott, er tat seine Pflicht als Hahn; ein
Mann ist ein Mann, man kann nicht von ihm
verlangen, den Frauen zu widerstehen, die sich
ihm an den Hals werfen. Für sie aber gab es
keine Entschuldigung; sie entehrte die Rue de
la Goutted'Or. Und als Paten zogen die
Lorilleux Nana an sich, um Einzelheiten zu
erfahren. Wenn sie sie auf versteckte Art und
Weise ausfragten, setzte die Kleine ihre
dämliche Miene auf und antwortete, indem sie
die Flamme ihrer Augen unter den langen
weichen Wimpern auslöschte.
Inmitten dieser öffentlichen Entrüstung lebte
Gervaise ruhig, müde und ein wenig schläfrig
dahin. Anfangs war sie sich sehr schuldig, sehr
schmutzig vorgekommen, und sie hatte sich
vor sich selber geekelt. Wenn sie aus Lantiers
Stube kam, wusch sie sich die Hände, machte
einen Lappen naß und rieb sich die Schultern
fast bis zum Wundwerden, um gleichsam ihren
Unrat zu beseitigen. Wenn Coupeau dann
seine Scherze zu treiben versuchte, wurde sie
ärgerlich, lief bibbernd in den Hintergrund des
Ladens, um sich anzuziehen; und sie duldete
nicht mehr, daß der Hutmacher sie berührte,
wenn ihr Mann sie gerade geküßt hatte. Am
liebsten hätte sie die Haut gewechselt, wenn
sie den Mann wechselte. Aber langsam
gewöhnte sie sich daran. Es war zu lästig, sich
jedesmal
abzuwaschen.
Ihre
Trägheitsanwandlungen machten sie schlaff,
ihr Verlangen, glücklich zu sein, ließ sie soviel
Glück wie möglich aus ihren
Widerwärtigkeiten herausholen. Sie war
nachgiebig gegen sich und die anderen,
bemühte sich einzig und allein, die Dinge so
einzurichten, daß niemand allzuviel Verdruß
hatte. Nicht wahr, wenn nur ihr Mann und ihr
Liebhaber sich freuten, im Hause alles seinen
geregelten, alltäglichen Trott ging, man von
morgens bis abends Witze machte, alle fett
waren, alle zufrieden mit dem Leben waren
und ihre Tage angenehm verbrachten, so war
wirklich kein Grund vorhanden, sich zu
beklagen. Außerdem mußte sie alles in allem
wohl nicht so viel Böses tun, da doch alles so
gut zur Zufriedenheit eines jeden in Ordnung
ging; gewöhnlich wird man doch bestraft,
wenn man Böses tut. Ihre Schamlosigkeit war
nun zur Gewohnheit geworden. Jetzt war das
geregelt wie Essen und Trinken; jedesmal
wenn Coupeau besoffen heimkam, ging sie zu
Lantier hinüber, was wenigstens montags,
dienstags und mittwochs in der Woche
vorkam. Sie teilte ihre Nächte. Schließlich
verließ sie den Bauklempner, wenn er bloß zu
laut schnarchte, sogar mitten im Schlaf und
machte seelenruhig auf dem Kopfkissen des
Nachbarn weiter heia. Nicht
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