Der Todschlaeger
tüchtige
Last los. Aber sie hatte bestimmt nicht nur
Mama Coupeau auf dem Grund des Loches im
Gärtchen in der Rue Marcadet zurückgelassen.
Es fehlten ihr zu viele Dinge, ein Stück ihres
eigenen Lebens mußte das sein, und ihr Laden
und ihr Meisterinnenstolz und noch andere
Gefühle, die sie an diesem Tage begraben
hatte. Ja, die Wände waren kahl, ihr Herz
auch, ein vollständiger Umzug war das, ein
Sturz in den Graben. Und sie fühlte sich zu
müde, sie würde sich später wieder aufraffen,
wenn sie konnte.
Um zehn Uhr weinte Nana beim Ausziehen
und stampfte mit den Füßen auf. Sie wollte in
Mama Coupeaus Bett schlafen. Ihre Mutter
versuchte ihr angst zu machen; aber die Kleine
war zu frühreif, die Toten erweckten nur große
Neugierde in ihr, so daß man ihr schließlich,
um Frieden zu haben, erlaubte, sich auf Mama
Coupeaus Platz auszustrecken. Sie liebte große
Betten, diese Göre; sie machte sich breit, sie
wälzte sich. In dieser Nacht schlief sie sehr gut
in der angenehmen Wärme und dem Gekitzel
der Federmatratze.
Kapitel X
Die neue Wohnung der Coupeaus befand sich
im sechsten Stock, Aufgang B. Wenn man bei
Fräulein Remanjou vorbeigegangen war,
wandte man sich in den Flur links. Dann
mußte man nochmals abbiegen. Die erste Tür
gehörte den Bijards. Fast gegenüber schlief
Vater Bru in einem luftlosen Loch unter einer
kleinen Treppe, die zum Dach führte. Zwei
Wohnungen weiter gelangte man zu Bazouge.
Gleich neben Bazouge kamen endlich die
Coupeaus, eine Stube und eine Kammer, die
auf den Hof gingen. Und hinten im Gang
waren nur noch zwei Familien, bevor man
ganz am Ende bei den Lorilleux war.
Eine Stube und eine Kammer, nicht mehr.
Dort hausten nun die Coupeaus. Und die Stube
war obendrein nur handbreit. Darin mußte man
alles tun: schlafen, essen und das übrige. In der
Kammer hatte gerade Nanas Bett Platz; sie
mußte sich bei ihrem Vater und ihrer Mutter
ausziehen, und die Tür ließ man nachts offen,
damit sie nicht erstickte. Es war so eng, daß
Gervaise den Poissons Sachen überlassen
hatte, als sie den Laden aufgab, weil sie nicht
alles unterbringen konnte. Das Bett, der Tisch,
vier Stühle, und die Wohnung war voll.
So herzzerreißend es auch war, sie hatte, da sie
nicht den Mut aufbrachte, sich von ihrer
Kommode zu trennen, den Fliesenfußboden
mit diesem großen nichtsnutzigen Möbelstück
verstellt, das die Hälfte des Fensters
versperrte. Einer der beiden Flügel ließ sich
nicht mehr öffnen, das nahm der Stube Licht
und Freundlichkeit weg. Wenn sie auf den Hof
schauen wollte, so hatte sie keinen Platz für
ihre Ellbogen, weil sie sehr dick wurde, und
sie beugte sich schief mit verrenktem Hals
hinaus, um etwas zu sehen.
An den ersten Tagen setzte sich die Wäscherin
hin und weinte. Es erschien ihr zu hart, sich zu
Hause nicht mehr rühren zu können, nachdem
sie es immer geräumig gehabt hatte. Sie
erstickte, sie verweilte stundenlang am
Fenster, zwischen Wand und Kommode
eingequetscht, und holte sich einen steifen
Hals. Allein dort konnte sie atmen. Der Hof
jedoch flößt ihr fast nur traurige Gedanken ein.
Ihr gegenüber erblickte sie auf der Sonnenseite
ihren Traum von einst, jenes Fenster im
fünften Stock, wo in jedem Frühjahr
Feuerbohnen ihre dünnen Stengel über ein
Gitterwerk aus Fäden rankten. Ihre eigene
Stube lag auf der Schattenseite, die
Resedatöpfe gingen hier in acht Tagen ein.
Ach nein, das Leben nahm keine freundliche
Wendung, das war kaum das Dasein, das sie
sich erhofft hatte. Statt Blumen im Alter zu
haben, wälzte sie sich in unsauberen Dingen.
Als sie sich eines Tages herausbeugte, hatte sie
eine komische Empfindung, sie glaubte sich
leibhaftig dort unten in der Toreinfahrt neben
der Conciergeloge zu sehen, wie sie, die Nase
in der Luft, das Haus zum erstenmal musterte;
und dieser Sprung um dreizehn Jahre zurück
rief einen stechenden Schmerz in ihrem
Herzen hervor. Der Hof hatte sich nicht
verändert, die kahlen Fassaden waren kaum
schwärzer und aussätziger; von den
rostzerfressenen Ausgußbecken stieg Gestank
auf; an den Leinen der Fensterkreuze
trockneten Wäschestücke und mit Kot
verkleisterte Kinderunterlagen; unten war das
ausgefahrene Pflaster immer noch verdreckt
von der Kohlenschlacke des Schlossers und
den Hobelspänen des Tischlers; in der
feuchten Ecke der Wasserleitung hatte eine aus
der Färberei herausgeflossene Lache sogar
eine schöne blaue
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