Der Todschlaeger
seinem Lied »Es
waren drei schöne Mädchen«, weil sie darin
die Geringschätzung eines Mannes erblickte,
der zu viele Liebchen hat.
»Was denn? Was denn?« lallte Bazouge.
»Wem ist denn schlecht? – Ich komm ja
schon, Muttchen!«
Aber bei dieser heiseren Stimme erwachte
Gervaise wie aus einem Alptraum. Was hatte
sie getan? Sie hatte sicher an die Bretterwand
geschlagen. Das war ein wahrer Stockhieb ins
Kreuz, sie kniff vor Schiß die Arschbacken
zusammen, sie wich zurück und glaubte zu
sehen, wie die groben Hände des
Leichenträgers durch die Wand drangen, um
sie beim Schopf zu packen. Nein, nein, sie
wollte nicht, sie war nicht bereit. Wenn sie
geklopft hatte, so mußte das beim Umdrehen
mit dem Ellbogen geschehen sein, ohne daß
sie eine Ahnung davon hatte. Und ganz steif,
das Gesicht weiß wie ein Teller bei dem
Gedanken, in den Armen des Alten
mitgeschleppt zu werden, stieg ihr ein Grauen
von den Knien bis in die Schultern hoch.
»Nanu, ist da niemand mehr?« fragte Bazouge
in die Stille hinein. »Warten Sie, den Damen
ist man ja gefällig.«
»Nichts, es ist nichts«, sagte die Wäscherin
schließlich mit erstickter Stimme. »Ich
brauche nichts. Danke.«
Während der Leichenträger brummend
einschlief, verweilte sie bang, lauschte nach
ihm hin und wagte sich nicht zu rühren, aus
Angst, er könnte sich einbilden, sie erneut
klopfen zu hören. Sie schwor sich
ausdrücklich, nun achtzugeben. Sie mochte
röcheln, den Nachbarn würde sie nicht um
Hilfe bitten. Und sie sagte dies, um sich zu
beruhigen, denn in gewissen Stunden war sie
trotz ihres Bammels und Entsetzens noch
immer verschossen in den Tod.
In ihrem Elendswinkel fand Gervaise inmitten
ihrer Sorgen und der Sorgen der anderen
jedoch ein schönes Beispiel von Mut bei den
Bijards. Die kleine Lalie, diese achtjährige
Range, die nicht größer war als ein
Dreikäsehoch, besorgte den Haushalt mit der
Reinlichkeit einer Erwachsenen. Und die
Arbeit war schwer, sie hatte sich um zwei
Knirpse zu kümmern, um ihren Bruder Jules
und ihre Schwester Henriette, Gören von drei
und fünf Jahren, auf die sie den ganzen Tag
aufpassen mußte, selbst wenn sie ausfegte und
das Geschirr abwusch. Seitdem Vater Bijard
seine Alte mit einem Fußtritt in den Bauch
umgebracht hatte, war Lalie das Mütterchen
dieser ganzen Familie geworden. Ohne irgend
etwas zu sagen, nahm sie von selber den Platz
der Toten ein, und zwar so, daß ihr Vater,
dieses Vieh, zweifellos um die Ähnlichkeit zu
vervollständigen, heute die Tochter halb
totschlug, wie er einst die Mama halb
totgeschlagen hatte. Wenn er besoffen
heimkam, brauchte er Frauen zum
Massakrieren. Er wurde nicht einmal gewahr,
daß Lalie noch sehr klein war; auf ein altes
Fell hätte er auch nicht heftiger eingeschlagen.
Mit einem Schlag bedeckte er ihr das ganze
Gesicht, und die Haut war noch so zart, daß
die fünf Finger zwei Tage lang zu sehen
waren. Nichtswürdige Prügel waren das, Keile
wegen eines Ja, wegen eines Nein, ein
tollwütiger Wolf, der über ein furchtsames und
schmeichlerisches armes Kätzchen herfiel, das
zum Weinen mager war und das dies mit
seinen schönen ergebenen Augen hinnahm,
ohne zu klagen. Nein, Lalie lehnte sich
niemals auf. Sie beugte ein wenig den Hals,
um ihr Gesicht zu schützen; sie unterdrückte
die Schreie, um das Haus nicht in Aufruhr zu
versetzen. Wenn der Vater es dann müde war,
sie mit Fußtritten in alle vier Ecken der Stube
zum Teufel zu jagen, wartete sie, bis sie
wieder die Kraft hatte, sich aufzuraffen; und
sie machte sich wieder an die Arbeit, wusch
ihre Kinder, kochte die Suppe und ließ kein
Staubkörnchen auf den Möbeln. Es gehörte zu
ihrer täglichen Aufgabe, geschlagen zu
werden.
Gervaise hatte tiefe Freundschaft zu ihrer
Nachbarin gefaßt. Sie behandelte sie wie
ihresgleichen, wie eine erwachsene Frau, die
das Dasein kennt. Man muß sagen, daß Lalie
bleich und ernst aussah und den
Gesichtsausdruck einer alten Jungfer hatte.
Man hätte sie auf dreißig Jahre geschätzt,
wenn man sie reden hörte. Sie verstand sehr
gut einzukaufen, zu flicken, ihr Zuhause
instand zu halten, und sie sprach von den
Kindern, als sei sie in ihrem Leben schon zwei
oder dreimal niedergekommen. Bei ihren acht
Jahren brachte das die Leute zum Lächeln,
wenn sie sie hörten; dann schnürte sich einem
die Kehle zusammen, und man ging davon, um
nicht zu weinen. Gervaise zog sie soviel
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