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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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seinem Lied »Es
    waren drei schöne Mädchen«, weil sie darin
    die Geringschätzung eines Mannes erblickte,
    der zu viele Liebchen hat.
    »Was denn? Was denn?« lallte Bazouge.
    »Wem ist denn schlecht? – Ich komm ja
    schon, Muttchen!«
    Aber bei dieser heiseren Stimme erwachte
    Gervaise wie aus einem Alptraum. Was hatte
    sie getan? Sie hatte sicher an die Bretterwand
    geschlagen. Das war ein wahrer Stockhieb ins
    Kreuz, sie kniff vor Schiß die Arschbacken
    zusammen, sie wich zurück und glaubte zu
    sehen, wie die groben Hände des
    Leichenträgers durch die Wand drangen, um
    sie beim Schopf zu packen. Nein, nein, sie
    wollte nicht, sie war nicht bereit. Wenn sie
    geklopft hatte, so mußte das beim Umdrehen
    mit dem Ellbogen geschehen sein, ohne daß
    sie eine Ahnung davon hatte. Und ganz steif,
    das Gesicht weiß wie ein Teller bei dem
    Gedanken, in den Armen des Alten
    mitgeschleppt zu werden, stieg ihr ein Grauen
    von den Knien bis in die Schultern hoch.
    »Nanu, ist da niemand mehr?« fragte Bazouge
    in die Stille hinein. »Warten Sie, den Damen
    ist man ja gefällig.«
    »Nichts, es ist nichts«, sagte die Wäscherin
    schließlich mit erstickter Stimme. »Ich
    brauche nichts. Danke.«
    Während der Leichenträger brummend
    einschlief, verweilte sie bang, lauschte nach
    ihm hin und wagte sich nicht zu rühren, aus
    Angst, er könnte sich einbilden, sie erneut
    klopfen zu hören. Sie schwor sich
    ausdrücklich, nun achtzugeben. Sie mochte
    röcheln, den Nachbarn würde sie nicht um
    Hilfe bitten. Und sie sagte dies, um sich zu
    beruhigen, denn in gewissen Stunden war sie
    trotz ihres Bammels und Entsetzens noch
    immer verschossen in den Tod.
    In ihrem Elendswinkel fand Gervaise inmitten
    ihrer Sorgen und der Sorgen der anderen
    jedoch ein schönes Beispiel von Mut bei den
    Bijards. Die kleine Lalie, diese achtjährige
    Range, die nicht größer war als ein
    Dreikäsehoch, besorgte den Haushalt mit der
    Reinlichkeit einer Erwachsenen. Und die
    Arbeit war schwer, sie hatte sich um zwei
    Knirpse zu kümmern, um ihren Bruder Jules
    und ihre Schwester Henriette, Gören von drei
    und fünf Jahren, auf die sie den ganzen Tag
    aufpassen mußte, selbst wenn sie ausfegte und
    das Geschirr abwusch. Seitdem Vater Bijard
    seine Alte mit einem Fußtritt in den Bauch
    umgebracht hatte, war Lalie das Mütterchen
    dieser ganzen Familie geworden. Ohne irgend
    etwas zu sagen, nahm sie von selber den Platz
    der Toten ein, und zwar so, daß ihr Vater,
    dieses Vieh, zweifellos um die Ähnlichkeit zu
    vervollständigen, heute die Tochter halb
    totschlug, wie er einst die Mama halb
    totgeschlagen hatte. Wenn er besoffen
    heimkam, brauchte er Frauen zum
    Massakrieren. Er wurde nicht einmal gewahr,
    daß Lalie noch sehr klein war; auf ein altes
    Fell hätte er auch nicht heftiger eingeschlagen.
    Mit einem Schlag bedeckte er ihr das ganze
    Gesicht, und die Haut war noch so zart, daß
    die fünf Finger zwei Tage lang zu sehen
    waren. Nichtswürdige Prügel waren das, Keile
    wegen eines Ja, wegen eines Nein, ein
    tollwütiger Wolf, der über ein furchtsames und
    schmeichlerisches armes Kätzchen herfiel, das
    zum Weinen mager war und das dies mit
    seinen schönen ergebenen Augen hinnahm,
    ohne zu klagen. Nein, Lalie lehnte sich
    niemals auf. Sie beugte ein wenig den Hals,
    um ihr Gesicht zu schützen; sie unterdrückte
    die Schreie, um das Haus nicht in Aufruhr zu
    versetzen. Wenn der Vater es dann müde war,
    sie mit Fußtritten in alle vier Ecken der Stube
    zum Teufel zu jagen, wartete sie, bis sie
    wieder die Kraft hatte, sich aufzuraffen; und
    sie machte sich wieder an die Arbeit, wusch
    ihre Kinder, kochte die Suppe und ließ kein
    Staubkörnchen auf den Möbeln. Es gehörte zu
    ihrer täglichen Aufgabe, geschlagen zu
    werden.
    Gervaise hatte tiefe Freundschaft zu ihrer
    Nachbarin gefaßt. Sie behandelte sie wie
    ihresgleichen, wie eine erwachsene Frau, die
    das Dasein kennt. Man muß sagen, daß Lalie
    bleich und ernst aussah und den
    Gesichtsausdruck einer alten Jungfer hatte.
    Man hätte sie auf dreißig Jahre geschätzt,
    wenn man sie reden hörte. Sie verstand sehr
    gut einzukaufen, zu flicken, ihr Zuhause
    instand zu halten, und sie sprach von den
    Kindern, als sei sie in ihrem Leben schon zwei
    oder dreimal niedergekommen. Bei ihren acht
    Jahren brachte das die Leute zum Lächeln,
    wenn sie sie hörten; dann schnürte sich einem
    die Kehle zusammen, und man ging davon, um
    nicht zu weinen. Gervaise zog sie soviel

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