Der Todschlaeger
schließlich kann man noch das
Verlangen haben, in seinem Bett zu sterben ...
Wenn ich mich mein ganzes Leben abgeplackt
habe, dann möchte ich gern in meinem Bett
bei mir zu Hause sterben.« Und sie erhob sich.
Coupeau, der ihre Wünsche lebhaft billigte,
war schon aufgestanden, da er wegen der Zeit
unruhig wurde. Aber sie gingen nicht sofort
hinaus, sie verspürte die Neugier, nach hinten
zu gehen und sich hinter der Eichenbarriere
den großen Destillierapparat aus rotem Kupfer
anzusehen, der unter dem hellen Glasdach des
kleinen Hofes in Betrieb war; und der
Bauklempner, der ihr gefolgt war, erklärte ihr,
wie das funktionierte, wies mit dem Finger auf
die verschiedenen Teile der Apparatur und
zeigte ihr die riesige Retorte, aus der ein
durchsichtiger dünner Alkoholstrahl herablief.
Der Destillierapparat mit seinen seltsam
geformten Vorlagen und seinen endlosen
gewundenen Röhren wahrte ein finsteres
Aussehen, nicht eine Dampf wölke entwich;
man hörte kaum ein Schnaufen im Innern,
kaum ein unterirdisches Rattern; es war
gleichsam eine Nachtarbeit, die von einem
düsteren, mächtigen und stummen Arbeiter am
hellichten Tage verrichtet wurde.
Inzwischen war MeineBotten in Begleitung
seiner beiden Kumpel herbeigekommen und
hatte sich mit den Ellbogen auf die Barrière
gestützt, bis eine Ecke des Schanktisches frei
werden würde. Er lachte wie eine
schlechtgeschmierte Winde und schüttelte den
Kopf, wobei er mit gerührten Augen die
Besaufmaschine
anstarrte.
Himmeldonnerwetter! Die war in Ordnung! In
diesem kupfernen Schmerbauch war genug,
um sich acht Tage lang die Kehle frisch zu
halten. Er hätte gewollt, daß man ihm das
Ende des Kühlrohrs zwischen die Zähne lötete,
damit er spüre, wie der noch warme Sprit ihn
vollfüllte und ihm immerzu, immerzu wie ein
Bächlein bis zu den Fersen hinabrinne.
Wahrlich, er hätte sich nicht mehr von der
Stelle gerührt, das hätte die Fingerhutgläser
dieses Esels, des Vaters Colombe, tüchtig
ersetzt! Die Kumpel grinsten und sagten,
dieses Rindvieh, der Meine Botten, habe
trotzdem einen erbärmlichen Bammel. Dumpf,
ohne jede Flamme, ohne jede Heiterkeit im
matten Widerschein seiner Kupferteile
arbeitete der Destillierapparat weiter und ließ
seinen Alkoholschweiß rinnen, gleich einer
langsamen und beharrlichen Quelle, die mit
der Zeit in die Gaststube einfallen, sich über
die äußeren Boulevards ergießen und das
riesige Loch Paris überfluten mußte.
Da trat Gervaise, die ein Schauer überlief,
zurück; und sie bemühte sich zu lächeln und
murmelte:
»Es ist dumm, mir wird kalt bei dieser
Maschine ... Bei alkoholischen Getränken wird
mir kalt ...« Dann kam sie wieder auf die
Vorstellung vom vollkommenen Glück zu
sprechen, die sie hegte: »Nicht wahr, das wäre
doch viel besser: arbeiten, Brot zum Essen
haben, ein eigenes Nest besitzen, seine Kinder
großziehen, in seinem Bett sterben ...«
»Und nicht geschlagen werden«, setzte
Coupeau heiter hinzu. »Ich aber würde Sie
nicht schlagen, wenn Sie einwilligten,
Madame Gervaise ... Da besteht keine
Befürchtung, ich trinke nie, außerdem liebe ich
Sie zu sehr ... Na, auf heute abend, wir werden
uns die Füßchen warm laufen.«
Er hatte die Stimme gesenkt, er sprach dicht an
ihrem Hals, während sie sich, ihren Korb vor
sich haltend, mitten durch die Männer einen
Weg bahnte. Aber noch immer schüttelte sie
verneinend mehrmals den Kopf. Sie drehte
sich jedoch um, lächelte ihm zu und schien
glücklich zu wissen, daß er nicht trank. Sicher
hätte sie ja zu ihm gesagt, wenn sie sich nicht
geschworen hätte, sich nicht wieder mit einem
Mann zusammenzutun. Endlich erreichten sie
die Tür und traten hinaus.
Hinter ihnen blieb der volle »Assommoir«, der
»Totschläger«, zurück und blies den Lärm der
heiseren Stimmen und den Schnapsgeruch der
Spritlagen bis auf die Straße. Man hörte, wie
MeineBotten Vater Colombe einen Gauner
schimpfte und ihn beschuldigte, sein Glas nur
halb vollgeschenkt zu haben. Er, er sei ein
guter, prima und zuverlässiger Kerl. Ach,
verflixt! Dem, Alten werde er was husten, er
werde nicht in die Bude zurückkehren, er
mache blau. Und er schlug seinen beiden
Kumpeln vor, zum »Petit bonhomme qui
tousse«10 zu gehen, einer Stampe an der
Barrière SaintDenis, wo man ganz reinen
Fusel zu trinken kriege.
»Ah! Man atmet richtig auf«, sagte Gervaise
auf dem Bürgersteig. »Also leben Sie
Weitere Kostenlose Bücher