Der Todschlaeger
Drei Millionen Bürger
werden aus den Listen gestrichen ... Man hat
mir gesagt, daß Bonaparte im Grunde
genommen sehr ungehalten ist, denn er liebt
das Volk, das hat er unter Beweis gestellt.« Er
sei Republikaner, aber er bewundere den
Prinzen wegen seines Onkels, eines Mannes,
wie nie einer mehr wiederkommen würde.
RöstfleischBibi wurde ärgerlich: er habe im
Palais de l'Elysée31 gearbeitet, er habe
Bonaparte gesehen, wie er MeineBotten sehe,
hier, ihm gegenüber. Na, dieser Muffelkopf
von einem Präsidenten ähnele einem Esel,
jawohl! Es heiße, er wolle eine Reise in die
Gegend von Lyon machen; man wäre ihn auf
famose Art los, wenn er sich in einem Graben
den Hals bräche.
Und da die Auseinandersetzung eine häßliche
Wendung nahm, mußte Coupeau eingreifen.
»Na, ihr seid aber einfältig, daß ihr euch
wegen der Politik an den Kragen geht! – So
ein Schwindel, die Politik! Ist die denn für uns
vorhanden? – Soll man hinsetzen, was man
will, einen König, einen Kaiser oder überhaupt
nichts – das wird mich nicht daran hindern,
meine fünf Francs zu verdienen, zu essen und
zu schlafen, stimmt's? – Nein, das ist ja zu
dumm!«
Lorilleux schüttelte den Kopf. Er war an
demselben Tag geboren wie der Graf de
Chambord32, am 29. September 1820. Dieses
zufällige Zusammentreffen beeindruckte ihn
sehr, erfüllte ihn mit einem unbestimmten
Traum, in dem er die Rückkehr des Königs
nach Frankreich und sein persönliches Glück
in Beziehung zueinander brachte. Er sagte
nicht genau, was er erhoffte, aber er gab zu
verstehen, daß ihm dann etwas außerordentlich
Angenehmes widerfahren würde. So verschob
er es denn auch bei jedem seiner Wünsche, die
zu groß waren, als daß sie befriedigt werden
konnten, auf später, »wenn der König
zurückkehren werde«.
Ȇbrigens habe ich eines Abends den Grafen
de Chambord gesehen ...«, erzählte er.
Alle Gesichter wandten sich ihm zu.
»Jawohl. Ein dicker Mann in einem Paletot,
sieht wie ein gutmütiger Bursche aus ... Ich
war bei Péquignot, einem Freund von mir, der
am Boulevard de la Chapelle Möbel
verkauft ... Der Graf de Chambord hatte am
Tag vorher einen Regenschirm dort
stehenlassen. Da ist er hereingekommen und
hat ganz einfach folgendes gesagt: ›Würden
Sie mir bitte meinen Regenschirm
zurückgeben?‹ – Mein Gott, ja, das war er,
Péquignot hat mir sein Ehrenwort gegeben.«
Keiner der Gäste äußerte den geringsten
Zweifel. Man war beim Nachtisch. Die Kellner
räumten den Tisch mit lautem
Geschirrklappern ab. Und Frau Lorilleux, die
bis dahin ganz schicklich und ganz Dame
gewesen war, entschlüpfte ein: »Verdammter
Dreckskerl!«, weil ihr einer der Kellner beim
Hochnehmen einer Schüssel etwas Nasses in
den Hals hatte laufen lassen. Sicherlich hatte
ihr Seidenkleid Flecke bekommen. Herr
Madinier mußte sich ihren Rücken angucken,
aber es war nichts zu sehen, das schwor er.
Jetzt machte sich mitten auf dem Tischtuch in
einer Salatschüssel Eierschnee breit, der von
zwei Tellern Käse und zwei Tellern Obst
flankiert war. Der Eierschnee, dessen zu lange
überbackenes Eiweiß auf der gelben Creme
schwamm, rief Andächtigkeit hervor; das hatte
man nicht erwartet, man fand das vornehm.
MeineBotten aß immer noch. Er hatte Brot
nachbestellt. Er aß die beiden Käse auf, und
als Creme übrigblieb, ließ er sich die
Salatschüssel reichen, in die er wie zur Suppe
dicke Scheiben Brot hineinschnitt.
»Der Herr ist wirklich höchst beachtlich«,
sagte Herr Madinier, der wieder in seine
Bewunderung verfallen war.
Alsdann erhoben sich die Männer, um ihre
Pfeifen zur Hand zu nehmen. Sie blieben einen
Augenblick hinter MeineBotten stehen,
klopften ihm auf die Schultern und fragten ihn,
ob es besser gehe. RöstfleischBibi hob ihn
samt dem Stuhl an; aber – zum Donnerwetter!
– der Schafskopf hatte sein Gewicht ja
verdoppelt.
Coupeau erzählte aus Ulk, sein Kumpel
beginne erst in Fahrt zu kommen, jetzt werde
er die ganze Nacht so Brot essen. Entsetzt
verschwanden die Kellner.
Boche, der vor einer Weile hinuntergegangen
war, kam wieder herauf und erzählte von dem
verdutzten Gesicht des Weinhändlers unten; er
sitze ganz blaß an seinem Zahltisch, und die
bestürzte Wirtin habe soeben nachsehen
lassen, ob die Bäcker noch länger offen hätten;
sogar die Katze des Hauses sehe ruiniert aus.
Wahrhaftig, es sei zu spaßig, das sei das Geld
für das Abendessen wert, ohne
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