Der Todschlaeger
zu
sprechen verlangt hatte, war die Gesellschaft
entsetzt, als sie hörte, wie dieser lächelnd
sagte, dabei komme er keineswegs auf seine
Rechnung. Da sei noch das Zusätzliche. Und
als das Wort »das Zusätzliche« mit wütenden
Ausrufen aufgenommen wurde, führte er es
einzeln auf: fünfundzwanzig Liter Wein statt
zwanzig, welche Zahl vorher vereinbart
worden sei; den Eierschnee, den er zusätzlich
gegeben habe, als er gesehen, daß der
Nachtisch ein wenig dürftig gewesen sei;
schließlich ein Fläschchen Rum, das mit dem
Kaffee serviert worden sei, für den Fall, daß
jemand gern Rum trinke.
Da entspann sich ein furchtbarer Streit.
Coupeau, an den man sich hielt, sträubte sich:
niemals habe er von zwanzig Litern
gesprochen; was den Eierschnee betreffe, so
gehöre er zum Nachtisch, da war dem Kneipier
eben nicht zu helfen, wenn er ihn aus eigenem
Ermessen zusätzlich gegeben habe; bliebe das
Fläschchen Rum – ein Vorwand, ein Mittel,
um die Rechnung zu erhöhen, indem
Spirituosen auf den Tisch geschoben würden,
die einem unverdächtig vorkämen.
»Es stand auf dem Kaffeetablett!« schrie er.
»Also muß es auch mit zum Kaffee gerechnet
werden ... Lassen Sie uns in Ruhe! Nehmen
Sie Ihr Geld weg, und da soll uns der Donner
rühren, wenn wir jemals wieder den Fuß in
Ihre Bude setzen!«
»Es macht sechs Francs mehr«, sagte der
Weinhändler immer wieder. »Geben Sie mir
meine sechs Francs ... Die drei Brote des
Herrn berechne ich noch nicht mal!«
Die ganze Gesellschaft, die sich um ihn
gedrängt hatte, umringte ihn mit wütenden
Gebärden und einem Gekreisch vor Zorn
erstickender Stimmen. Besonders die Frauen
gingen aus ihrer Zurückhaltung heraus, lehnten
es ab, einen Centime zuzuzahlen. Na, danke
schön, das war ja eine feine Hochzeit! Fräulein
Remanjou würde sich nie wieder auf so ein
Essen einlassen! Frau Fauconnier habe sehr
schlecht gegessen; zu Hause hätte sie für
vierzig Sous ein Gerichtchen gehabt, nach dem
man sich die Finger lecken würde. Frau
Gaudron beklagte sich bitter, daß sie ans
schlechte Ende des Tisches neben
MeineBotten abgeschoben worden sei, der
nicht die geringste Rücksicht gezeigt habe.
Kurzum, derartige Feiern gingen immer schief.
Wenn man Gäste auf seiner Hochzeit haben
wolle, so lade man die Leute ein, weiß Gott!
Und Gervaise, die zu Mama Coupeau an eines
der Fenster geflüchtet war, sagte nichts,
schämte sich, weil sie fühlte, daß alle diese
Vorwürfe auf sie zurückfielen.
Schließlich ging Herr Madinier mit dem
Weinhändler hinunter. Man hörte, wie sie
unten diskutierten. Nach einer halben Stunde
kam dann der Kartonmacher wieder herauf; er
hatte die Sache in Ordnung gebracht, indem er
drei Francs gegeben hatte. Aber die
Gesellschaft blieb verärgert, aufgebracht und
kam unaufhörlich auf die Frage des
»Zusätzlichen« zurück. Und der Krach
steigerte sich mit einem Kraftakt von Frau
Boche. Sie belauerte immer noch ihren Mann,
sie sah, wie er in einer Ecke Frau Lerat in die
Taille kniff. Da schleuderte sie mit vollem
Schwünge eine Karaffe nach ihm, die an der
Wand zerschellte.
»Man merkt genau, daß Ihr Mann Schneider
ist, Madame«, sagte die große Witwe und kniff
voller Hintergedanken die Lippen zusammen.
»Er ist ein erstklassiger Röckemesser ... Ich
habe ihm aber gehörige Fußtritte unter dem
Tisch versetzt.«
Der Abend war verdorben. Man wurde immer
zänkischer. Herr Madinier schlug vor zu
singen, aber RöstfleischBibi, der eine schöne
Stimme hatte, war soeben verschwunden; und
Fräulein Remanjou, die sich mit den Ellbogen
auf ein Fensterbrett stützte, erblickte ihn unter
den Akazien, wie er ein dickes Mädchen ohne
Hut herumschwenkte. Das Piston und die
beiden Geiger spielten den »Mostrichhändler«,
eine Quadrille, bei der man zur Pastourelle33
in die Hände klatschte.
Dann gab es ein heilloses Auseinanderlaufen.
MeineBotten und das Ehepaar Gaudron gingen
hinunter, sogar Boche machte sich aus dem
Staube. Von den Fenstern aus sah man, wie
sich die Paare zwischen den Blättern drehten,
denen die in den Zweigen hängenden Laternen
ein gemaltes und grelles Dekorationsgrün
verliehen. Die Nacht schlief ohne einen
Atemzug, vor Wonne vergangen bei der
großen Hitze. Im Gastzimmer war ein ernstes
Gespräch zwischen Lorilleux und Herrn
Madinier in Gang gekommen, während die
Damen, die nicht mehr wußten, wie sie ihr
Zornbedürfnis befriedigen sollten, ihre
Weitere Kostenlose Bücher