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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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sie
    gut angebraten seien, kniff Frau Lerat die
    Lippen zusammen und murmelte:
    »Das verstehe ich.«
    Sie war dürr wie eine Bohnenstange, führte
    das Leben einer klösterlich in ihr tägliches
    Einerlei vergrabenen Arbeiterin und hatte seit
    ihrer Witwenschaft nicht die Nase eines
    Mannes bei sich zu Hause gesehen, obwohl sie
    eine ständige Vorliebe für Zoten an den Tag
    legte, eine Sucht nach zweideutigen Worten
    und unanständigen Anspielungen von solcher
    Unergründlichkeit, daß sie allein sich verstand.
    Als sich Boche vorbeugte und eine leise ins
    Ohr geflüsterte Erklärung verlangte, meinte
    sie:
    »Allerdings, die kleinen Zwiebeln ... Ich
    denke, das genügt.«
    Aber das Gespräch wurde ernst. Jeder sprach
    von seinem Beruf. Herr Madinier pries die
    Kartonherstellung: es gäbe wahre Künstler in
    diesem Fach; so führte er Geschenkschachteln
    an, deren Modelle er kenne, Wunderwerke an
    Luxus. Doch Lorilleux grinste; er war sehr
    eingebildet darauf, daß er Gold bearbeitete,
    und sah gleichsam einen Abglanz davon auf
    seinen Fingern und auf seiner ganzen Person.
    Schließlich, pflegte er oft zu sagen, hätten die
    Juweliere in früheren Zeiten einen Degen
    getragen; und er führte Bernard Palissy29 an,
    ohne etwas über ihn zu wissen. Und Coupeau
    erzählte von einer Wetterfahne, einem
    Meisterwerk eines seiner Kumpels; sie
    bestände aus einer Säule, dann noch aus einer
    Garbe, dann noch aus einem Fruchtkorb, dann
    noch aus einer Fahne; das Ganze
    ausgezeichnet nachgebildet und nur aus
    ausgeschnittenen und gelöteten Stücken Zink
    zusammengesetzt. Frau Lerat zeigte
    RöstfleischBibi, wie man einen Rosenstiel
    drehte, indem sie den Griff ihres Messers
    zwischen ihren knochigen Fingern hin und her
    rollte. Unterdessen wuchsen die Stimmen an
    und überschnitten sich. In dem Lärm hörte
    man sehr laut von Frau Fauconnier
    herausgeschleuderte Worte, die dabei war, sich
    über ihre Arbeiterinnen zu beklagen, über eine
    kleine Stümperin von einem Lehrmädchen, die
    ihr gestern abermals ein Paar Laken verbrannt
    habe.
    »Sie können sagen, was Sie wollen«, schrie
    Lorilleux und schlug mit der Faust auf den
    Tisch, »Gold ist Gold!«
    Und inmitten dieser Stille, die diese Wahrheit
    verursacht hatte, war nur noch Fräulein
    Remanjous dünne Stimme zu hören, die
    weiterredete:
    »Dann hebe ich ihren Rock hoch, und ich nähe
    innen ... In den Kopf stecke ich ihnen eine
    Nadel, um die Haube festzuhalten ... Und
    damit sind sie fertig, und sie werden für
    dreizehn Sous verkauft.« Sie erklärte
    MeineBotten, dessen Kiefer langsam wie
    Mühlsteine mahlten, ihre Puppen.
    Er hörte nicht zu, er wackelte mit dem Kopf
    und spähte nach den Kellnern, damit sie nicht
    die Platten abräumten, ohne daß er sie
    ausgewischt hatte.
    Man hatte gespickte Kalbskeule im eigenen
    Saft und grüne Bohnen gegessen. Der Braten
    wurde gebracht, zwei magere Hühnchen, die
    auf eine Schicht im Backofen welk
    gewordener und verbrannter Kresse gebettet
    waren.
    Draußen erstarb die Sonne über den hohen
    Zweigen der Akazien. In dem Raum
    verdichtete sich der grünliche Widerschein der
    von der Tafel aufsteigenden Dünste, die
    fleckig war von Wein und Soße und auf der
    ein wüstes Durcheinander herrschte, wie nach
    einer Schlacht. Und längs der Wand ähnelten
    schmutzige Teller und leere Literflaschen, die
    von den Kellnern dort abgestellt waren, vom
    Tischtuch gefegtem und runtergekipptem
    Kehricht. Es war sehr warm. Die Männer
    zogen ihre Röcke aus und aßen in
    Hemdsärmeln weiter.
    »Madame Boche, ich bitte Sie, stopfen Sie sie
    nicht so voll«, sagte Gervaise, die wenig
    sprach und von weitem auf Claude und
    Etienne aufpaßte. Sie erhob sich, ging hin, um
    einen Augenblick, hinter den Stühlen der
    Kleinen stehend, zu plaudern. Die Kinder, die
    waren unvernünftig, die aßen den ganzen Tag
    lang, ohne die Bissen abzuschlagen. Und sie
    tat ihnen selber Huhn auf, ein bißchen Brust.
    Aber Mama Coupeau meinte, einmal könnten
    sie sich ruhig den Magen verderben.
    Frau Boche beschuldigte ihren Mann leise, er
    kneife Frau Lerat in die Knie. Oh, das sei ein
    Heimlichtuer, und er schlampampe drauflos.
    Sie habe genau gesehen, wie seine Hand
    verschwand. Wenn er es noch einmal mache,
    so sei sie – bei Gott! – imstande, ihm eine
    Karaffe an den Kopf zu schmeißen.
    Als alle schwiegen, sprach Herr Madinier von
    Politik.
    »Denen ihr Gesetz vom 31. Mai30 ist eine
    Schande. Jetzt muß man zwei Jahre am selben
    Ort ansässig sein.

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