Der Todschlaeger
sie
gut angebraten seien, kniff Frau Lerat die
Lippen zusammen und murmelte:
»Das verstehe ich.«
Sie war dürr wie eine Bohnenstange, führte
das Leben einer klösterlich in ihr tägliches
Einerlei vergrabenen Arbeiterin und hatte seit
ihrer Witwenschaft nicht die Nase eines
Mannes bei sich zu Hause gesehen, obwohl sie
eine ständige Vorliebe für Zoten an den Tag
legte, eine Sucht nach zweideutigen Worten
und unanständigen Anspielungen von solcher
Unergründlichkeit, daß sie allein sich verstand.
Als sich Boche vorbeugte und eine leise ins
Ohr geflüsterte Erklärung verlangte, meinte
sie:
»Allerdings, die kleinen Zwiebeln ... Ich
denke, das genügt.«
Aber das Gespräch wurde ernst. Jeder sprach
von seinem Beruf. Herr Madinier pries die
Kartonherstellung: es gäbe wahre Künstler in
diesem Fach; so führte er Geschenkschachteln
an, deren Modelle er kenne, Wunderwerke an
Luxus. Doch Lorilleux grinste; er war sehr
eingebildet darauf, daß er Gold bearbeitete,
und sah gleichsam einen Abglanz davon auf
seinen Fingern und auf seiner ganzen Person.
Schließlich, pflegte er oft zu sagen, hätten die
Juweliere in früheren Zeiten einen Degen
getragen; und er führte Bernard Palissy29 an,
ohne etwas über ihn zu wissen. Und Coupeau
erzählte von einer Wetterfahne, einem
Meisterwerk eines seiner Kumpels; sie
bestände aus einer Säule, dann noch aus einer
Garbe, dann noch aus einem Fruchtkorb, dann
noch aus einer Fahne; das Ganze
ausgezeichnet nachgebildet und nur aus
ausgeschnittenen und gelöteten Stücken Zink
zusammengesetzt. Frau Lerat zeigte
RöstfleischBibi, wie man einen Rosenstiel
drehte, indem sie den Griff ihres Messers
zwischen ihren knochigen Fingern hin und her
rollte. Unterdessen wuchsen die Stimmen an
und überschnitten sich. In dem Lärm hörte
man sehr laut von Frau Fauconnier
herausgeschleuderte Worte, die dabei war, sich
über ihre Arbeiterinnen zu beklagen, über eine
kleine Stümperin von einem Lehrmädchen, die
ihr gestern abermals ein Paar Laken verbrannt
habe.
»Sie können sagen, was Sie wollen«, schrie
Lorilleux und schlug mit der Faust auf den
Tisch, »Gold ist Gold!«
Und inmitten dieser Stille, die diese Wahrheit
verursacht hatte, war nur noch Fräulein
Remanjous dünne Stimme zu hören, die
weiterredete:
»Dann hebe ich ihren Rock hoch, und ich nähe
innen ... In den Kopf stecke ich ihnen eine
Nadel, um die Haube festzuhalten ... Und
damit sind sie fertig, und sie werden für
dreizehn Sous verkauft.« Sie erklärte
MeineBotten, dessen Kiefer langsam wie
Mühlsteine mahlten, ihre Puppen.
Er hörte nicht zu, er wackelte mit dem Kopf
und spähte nach den Kellnern, damit sie nicht
die Platten abräumten, ohne daß er sie
ausgewischt hatte.
Man hatte gespickte Kalbskeule im eigenen
Saft und grüne Bohnen gegessen. Der Braten
wurde gebracht, zwei magere Hühnchen, die
auf eine Schicht im Backofen welk
gewordener und verbrannter Kresse gebettet
waren.
Draußen erstarb die Sonne über den hohen
Zweigen der Akazien. In dem Raum
verdichtete sich der grünliche Widerschein der
von der Tafel aufsteigenden Dünste, die
fleckig war von Wein und Soße und auf der
ein wüstes Durcheinander herrschte, wie nach
einer Schlacht. Und längs der Wand ähnelten
schmutzige Teller und leere Literflaschen, die
von den Kellnern dort abgestellt waren, vom
Tischtuch gefegtem und runtergekipptem
Kehricht. Es war sehr warm. Die Männer
zogen ihre Röcke aus und aßen in
Hemdsärmeln weiter.
»Madame Boche, ich bitte Sie, stopfen Sie sie
nicht so voll«, sagte Gervaise, die wenig
sprach und von weitem auf Claude und
Etienne aufpaßte. Sie erhob sich, ging hin, um
einen Augenblick, hinter den Stühlen der
Kleinen stehend, zu plaudern. Die Kinder, die
waren unvernünftig, die aßen den ganzen Tag
lang, ohne die Bissen abzuschlagen. Und sie
tat ihnen selber Huhn auf, ein bißchen Brust.
Aber Mama Coupeau meinte, einmal könnten
sie sich ruhig den Magen verderben.
Frau Boche beschuldigte ihren Mann leise, er
kneife Frau Lerat in die Knie. Oh, das sei ein
Heimlichtuer, und er schlampampe drauflos.
Sie habe genau gesehen, wie seine Hand
verschwand. Wenn er es noch einmal mache,
so sei sie – bei Gott! – imstande, ihm eine
Karaffe an den Kopf zu schmeißen.
Als alle schwiegen, sprach Herr Madinier von
Politik.
»Denen ihr Gesetz vom 31. Mai30 ist eine
Schande. Jetzt muß man zwei Jahre am selben
Ort ansässig sein.
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