Der Todschlaeger
Stolz.
Gleich, am Morgen zogen sie die Vorhänge
des Alkovens zu, Vorhänge aus weißem
Kaliko; und der Raum war in eine Wohnstube
verwandelt, mit dem Tisch in der Mitte, dem
Schrank und der Kommode, die einander
gegenüberstanden. Da der Kamin bis zu
fünfzehn Sous an Steinkohle täglich
verbrauchte, hatten sie ihn zugestopft; ein
kleiner gußeiserner Ofen, der auf dem
marmornen Kaminvorsatz stand, wärmte sie
bei großer Kälte für sieben Sous. Sodann hatte
Coupeau, so gut er konnte, die Wände
geschmückt, wovon er sich eine
Verschönerung versprach: ein hoher
Kupferstich, der einen Marschall von
Frankreich darstellte, wie er mit seinem Stab
in der Hand zwischen einer Kanone und einem
Kugelhaufen auf seinem Pferd hin und her
tänzelte, nahm die Stelle des Spiegels ein; über
der Kommode waren rechts und links von
einem alten Weihwasserkessel aus
goldbemaltem Porzellan, in den die
Streichhölzer hineingetan wurden, in zwei
Reihen die Familienphotographien angeordnet;
auf dem Schrankaufsatz bildete eine Büste
Pascals34 das Gegenstück zu einer Büste
Bérangers35, der eine ernst, der andere
lächelnd, neben der Kuckucksuhr, deren
Ticktack sie zu lauschen schienen. Es war
wirklich eine schöne Stube.
»Raten Sie mal, wieviel wir hier bezahlen?«
fragte Gervaise jeden Besucher. Und wenn
ihre Miete zu hoch geschätzt wurde,
triumphierte sie und rief, entzückt darüber, für
so wenig Geld so gut unter gebracht zu sein:
»Hundertfünfzig Francs im Jahr, keinen Heller
mehr! – Das ist geschenkt, was?«
Die Rue Neuve de la Goutted'Or selber trug zu
einem guten Teil zu ihrer Zufriedenheit bei.
Gervaise lebte in ihr, weil sie unaufhörlich
zwischen ihrem Zuhause und Frau Fauconnier
hin und her ging. Coupeau ging nun abends
hinunter, rauchte seine Pfeife auf der Schwelle
der Haustür. Die Straße, die keinen
Bürgersteig hatte und deren Pflaster
ausgefahren war, verlief ansteigend. Oben
waren in Richtung der Rue de la Goutted'Or
düstere Läden mit schmutzigen
Fensterscheiben, Schuster, Böttcher, eine
finstere Kolonialwarenhandlung und ein
bankrott gegangener Weinhändler, dessen seit
Wochen verschlossene Läden sich mit
Plakaten bedeckten. Am anderen Ende, nach
Paris zu, versperrten vierstöckige Häuser den
Himmel, in deren Erdgeschoß haufenweise
Wäscherinnen nebeneinander wohnten. Nur
das Schaufenster eines kleinstädtischen
Perückenmachers, das grün gestrichen und
voller zartfarbener Fläschchen war, heiterte
diesen dunklen Winkel mit dem lebhaften
Blitzen seiner sehr saubergehaltenen
Kupferbecken auf. Die Heiterkeit der Straße
aber lag in der Mitte, an der Stelle, wo die
spärlicher und niedriger werdenden Bauten
Luft und Sonne herabkommen ließen. Die
Schuppen des Wagenvermieters, die
benachbarte Fabrik, in der Selterwasser
hergestellt wurde und das gegenüberliegende
Waschhaus verbreiterten den weiten, freien,
stillen Zwischenraum, in dem die gedämpften
Stimmen der Wäscherinnen und der
regelmäßige Atem der Dampfmaschine die
Andächtigkeit noch zu vergrößern schienen. In
die Tiefe gehende Grundstücke und zwischen
schwarzen Mauern versinkende Alleen
schufen dort ein Dorf. Und Coupeau, der
seinen Spaß an den seltenen Passanten hatte,
die über das ständige Seifenwassergeriesel
hinwegstelzten, meinte, das erinnere ihn an
eine Gegend, in die ihn ein Onkel von ihm im
Alter von fünf Jahren mitgenommen hatte.
Gervaises Freude war links von ihrem Fenster
ein auf einen Hof gepflanzter Baum, eine
Akazie, die einen einzigen ihrer Zweige
herüberstreckte und deren dürftiges Grün
genügte, um der ganzen Straße Liebreiz zu
verleihen.
Am letzten Apriltag kam die junge Frau
nieder. Die Wehen überkamen sie am
Nachmittag gegen vier Uhr, als sie bei Frau
Fauconnier ein paar Gardinen plättete. Sie
wollte nicht sofort weggehen, sie blieb da,
wand sich auf einem Stuhl hin und her, machte
einen Bügelstrich, wenn es sich ein wenig
beruhigte. Die Gardinen waren eilig, sie setzte
es sich in den Kopf, sie fertigzumachen;
vielleicht war es außerdem nur Leibschneiden;
wegen eines Bauchwehs brauchte man nicht so
ängstlich zu sein. Als sie jedoch davon sprach,
mit Männerhemden anzufangen, wurde sie
weiß. Sie mußte das Geschäft verlassen und
zusammengekrümmt, sich an den Mauern
festhaltend, über die Straße gehen. Eine
Arbeiterin erbot sich, sie zu begleiten. Sie
lehnte ab; sie bat sie lediglich, bei der
Hebamme
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