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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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Stolz.
    Gleich, am Morgen zogen sie die Vorhänge
    des Alkovens zu, Vorhänge aus weißem
    Kaliko; und der Raum war in eine Wohnstube
    verwandelt, mit dem Tisch in der Mitte, dem
    Schrank und der Kommode, die einander
    gegenüberstanden. Da der Kamin bis zu
    fünfzehn Sous an Steinkohle täglich
    verbrauchte, hatten sie ihn zugestopft; ein
    kleiner gußeiserner Ofen, der auf dem
    marmornen Kaminvorsatz stand, wärmte sie
    bei großer Kälte für sieben Sous. Sodann hatte
    Coupeau, so gut er konnte, die Wände
    geschmückt, wovon er sich eine
    Verschönerung versprach: ein hoher
    Kupferstich, der einen Marschall von
    Frankreich darstellte, wie er mit seinem Stab
    in der Hand zwischen einer Kanone und einem
    Kugelhaufen auf seinem Pferd hin und her
    tänzelte, nahm die Stelle des Spiegels ein; über
    der Kommode waren rechts und links von
    einem alten Weihwasserkessel aus
    goldbemaltem Porzellan, in den die
    Streichhölzer hineingetan wurden, in zwei
    Reihen die Familienphotographien angeordnet;
    auf dem Schrankaufsatz bildete eine Büste
    Pascals34 das Gegenstück zu einer Büste
    Bérangers35, der eine ernst, der andere
    lächelnd, neben der Kuckucksuhr, deren
    Ticktack sie zu lauschen schienen. Es war
    wirklich eine schöne Stube.
    »Raten Sie mal, wieviel wir hier bezahlen?«
    fragte Gervaise jeden Besucher. Und wenn
    ihre Miete zu hoch geschätzt wurde,
    triumphierte sie und rief, entzückt darüber, für
    so wenig Geld so gut unter gebracht zu sein:
    »Hundertfünfzig Francs im Jahr, keinen Heller
    mehr! – Das ist geschenkt, was?«
    Die Rue Neuve de la Goutted'Or selber trug zu
    einem guten Teil zu ihrer Zufriedenheit bei.
    Gervaise lebte in ihr, weil sie unaufhörlich
    zwischen ihrem Zuhause und Frau Fauconnier
    hin und her ging. Coupeau ging nun abends
    hinunter, rauchte seine Pfeife auf der Schwelle
    der Haustür. Die Straße, die keinen
    Bürgersteig hatte und deren Pflaster
    ausgefahren war, verlief ansteigend. Oben
    waren in Richtung der Rue de la Goutted'Or
    düstere Läden mit schmutzigen
    Fensterscheiben, Schuster, Böttcher, eine
    finstere Kolonialwarenhandlung und ein
    bankrott gegangener Weinhändler, dessen seit
    Wochen verschlossene Läden sich mit
    Plakaten bedeckten. Am anderen Ende, nach
    Paris zu, versperrten vierstöckige Häuser den
    Himmel, in deren Erdgeschoß haufenweise
    Wäscherinnen nebeneinander wohnten. Nur
    das Schaufenster eines kleinstädtischen
    Perückenmachers, das grün gestrichen und
    voller zartfarbener Fläschchen war, heiterte
    diesen dunklen Winkel mit dem lebhaften
    Blitzen seiner sehr saubergehaltenen
    Kupferbecken auf. Die Heiterkeit der Straße
    aber lag in der Mitte, an der Stelle, wo die
    spärlicher und niedriger werdenden Bauten
    Luft und Sonne herabkommen ließen. Die
    Schuppen des Wagenvermieters, die
    benachbarte Fabrik, in der Selterwasser
    hergestellt wurde und das gegenüberliegende
    Waschhaus verbreiterten den weiten, freien,
    stillen Zwischenraum, in dem die gedämpften
    Stimmen der Wäscherinnen und der
    regelmäßige Atem der Dampfmaschine die
    Andächtigkeit noch zu vergrößern schienen. In
    die Tiefe gehende Grundstücke und zwischen
    schwarzen Mauern versinkende Alleen
    schufen dort ein Dorf. Und Coupeau, der
    seinen Spaß an den seltenen Passanten hatte,
    die über das ständige Seifenwassergeriesel
    hinwegstelzten, meinte, das erinnere ihn an
    eine Gegend, in die ihn ein Onkel von ihm im
    Alter von fünf Jahren mitgenommen hatte.
    Gervaises Freude war links von ihrem Fenster
    ein auf einen Hof gepflanzter Baum, eine
    Akazie, die einen einzigen ihrer Zweige
    herüberstreckte und deren dürftiges Grün
    genügte, um der ganzen Straße Liebreiz zu
    verleihen.
    Am letzten Apriltag kam die junge Frau
    nieder. Die Wehen überkamen sie am
    Nachmittag gegen vier Uhr, als sie bei Frau
    Fauconnier ein paar Gardinen plättete. Sie
    wollte nicht sofort weggehen, sie blieb da,
    wand sich auf einem Stuhl hin und her, machte
    einen Bügelstrich, wenn es sich ein wenig
    beruhigte. Die Gardinen waren eilig, sie setzte
    es sich in den Kopf, sie fertigzumachen;
    vielleicht war es außerdem nur Leibschneiden;
    wegen eines Bauchwehs brauchte man nicht so
    ängstlich zu sein. Als sie jedoch davon sprach,
    mit Männerhemden anzufangen, wurde sie
    weiß. Sie mußte das Geschäft verlassen und
    zusammengekrümmt, sich an den Mauern
    festhaltend, über die Straße gehen. Eine
    Arbeiterin erbot sich, sie zu begleiten. Sie
    lehnte ab; sie bat sie lediglich, bei der
    Hebamme

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