Der Todschlaeger
Zimmer im ersten Stock
behalten? Heute abend schlafen die Kinder
nicht da, wir werden uns dort schon wohl
fühlen.«
Frau Lorilleux sagte nichts weiter und
verschloß sich in ihre Würde, furchtbar
verärgert darüber, Kuhschwanz genannt zu
werden.
Um Gervaise zu trösten, drückte Coupeau
sanft ihren Arm; und es gelang ihm sogar, sie
aufzuheitern, indem er ihr ins Ohr flüsterte,
daß sie mit der runden Summe von sieben
Sous in die Ehe träten, mit drei
Zweisöusstücken und einem einzelnen Sou,
die er mit der Hand in seiner Hosentasche
klimpern ließ.
Als man am Hotel Boncœur angelangt war,
sagte man sich mit verdrossener Miene gute
Nacht. Und in dem Augenblick, als Coupeau
die beiden Frauen zum Abschiedskuß
aufeinander zuschob, wobei er sie dumme
Gänse schalt, schlug ein Trunkenbold, der
anscheinend rechts vorbeigehen wollte, einen
jähen Haken nach links und warf sich
zwischen sie.
»Sieh mal an! Das ist ja Vater Bazouge!« sagte
Lorilleux. »Der hat heute sein Teil weg.«
Erschrocken drückte sich Gervaise eng an die
Tür des Hotels. Vater Bazouge, ein
Leichenträger in den Fünfzigern, hatte
Dreckflecke in seiner schwarzen Hose, sein
schwarzer Mantel war auf der Schulter
zugehakt, sein schwarzer Lederhut verbeult
und bei irgendeinem Sturz platt gedrückt.
»Haben Sie keine Angst, er ist nicht bösartig«,
fuhr Lorilleux fort. »Er ist ein Nachbar, die
dritte Stube auf dem Flur, bevor man zu uns
kommt ... Wenn seine Behörde ihn so sähe,
wäre er schön dran!«
Vater Bazouge ärgerte sich allerdings über das
Entsetzen der jungen Frau.
»Na, was denn!« lallte er. »In unserem
Gewerbe wird niemand gefressen ... Ich bin
genausoviel wert wie ein anderer, das können
Sie glauben, meine Kleine ... Freilich, ich habe
eins getrunken. Wenn die Arbeit was
einbringt, muß man ja mal die Räder
schmieren. Sie und die ganze Gesellschaft hier
hätten das Individuum mit seinen sechshundert
Pfund nicht heruntergebracht, das wir zu zweit
vom vierten Stock bis auf den Bürgersteig
geschafft haben, und zwar ohne es kaputt zu
machen ... Ich liebe fidele Leute.«
Aber Gervaise drängte sich noch mehr in den
Türwinkel hinein, von einem heftigen
Verlangen zu weinen erfaßt, das ihr den
ganzen Tag voller besonnener Freude verdarb.
Sie dachte nicht mehr daran, ihre Schwägerin
zu umarmen, sie flehte Coupeau an, den
Betrunkenen fortzubringen. Da machte Vater
Bazouge torkelnd eine Gebärde voller
philosophischer Verachtung.
»Das wird nicht verhindern, daß auch Sie
drankommen, meine Kleine ... Eines Tages
sind Sie vielleicht ganz froh, daß Sie
drankommen ... Ja, ich kenne Frauen, die
danke sagen würden, wenn man sie
fortschaffte.« Und als sich die Lorilleux
entschlossen, ihn mitzunehmen, drehte er sich
um, und er stammelte zwischen zwei
Schlucksern einen letzten Satz heraus: »Wenn
man tot ist ... hören Sie sich das an ... wenn
man tot ist, dann ist man's für lange Zeit.«
Kapitel IV
Das wurden vier Jahre harter Arbeit. Im
Viertel galten Gervaise und Coupeau als ein
gutes Ehepaar, das zurückgezogen lebte, ohne
Prügeleien, und Sonntags regelmäßig einen
Spaziergang in die Gegend von Saint Ouen
machte. Die Frau arbeitete täglich zwölf
Stunden bei Frau Fauconnier und fand Mittel
und Wege, ihr Zuhause blitzsauber zu halten
und ihrer ganzen Familie morgens und abends
das Essen vorzusetzen. Der Mann besoff sich
nicht, brachte seinen vierzehntägigen Lohn
nach Hause und rauchte vor dem
Schlafengehen eine Pfeife an seinem Fenster,
um frische Luft zu schöpfen. Man erwähnte sie
lobend wegen ihrer Liebenswürdigkeit. Und da
sie beide zusammen fast neun Francs am Tag
verdienten, rechnete man aus, daß sie ein
schönes Stück Geld zurückgelegt haben
mußten.
Aber vor allem in der ersten Zeit mußten sie
sich ganz hübsch placken, um auszukommen.
Ihre Hochzeit hatte ihnen zweihundert Francs
Schulden aufgebürdet. Weiter war ihnen das
Hotel Boncœur ein Greuel; sie fanden es
widerlich, voll schmutziger Kundschaft. Und
sie träumten davon, ein Heim zu haben mit
eigenen Möbeln, die sie pflegen konnten.
Unzählige Male errechneten sie die
erforderliche Summe; sie belief sich, rund
gerechnet, auf dreihundertfünfzig Francs,
wenn sie wollten, daß sie beim Anschaffen
ihrer Sachen nicht gleich in Verlegenheit
gerieten und sie eine Kasserolle oder eine
Bratpfanne zur Hand hatten, wenn sie diese
brauchen sollten. Sie gaben die
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