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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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Zimmer im ersten Stock
    behalten? Heute abend schlafen die Kinder
    nicht da, wir werden uns dort schon wohl
    fühlen.«
    Frau Lorilleux sagte nichts weiter und
    verschloß sich in ihre Würde, furchtbar
    verärgert darüber, Kuhschwanz genannt zu
    werden.
    Um Gervaise zu trösten, drückte Coupeau
    sanft ihren Arm; und es gelang ihm sogar, sie
    aufzuheitern, indem er ihr ins Ohr flüsterte,
    daß sie mit der runden Summe von sieben
    Sous in die Ehe träten, mit drei
    Zweisöusstücken und einem einzelnen Sou,
    die er mit der Hand in seiner Hosentasche
    klimpern ließ.
    Als man am Hotel Boncœur angelangt war,
    sagte man sich mit verdrossener Miene gute
    Nacht. Und in dem Augenblick, als Coupeau
    die beiden Frauen zum Abschiedskuß
    aufeinander zuschob, wobei er sie dumme
    Gänse schalt, schlug ein Trunkenbold, der
    anscheinend rechts vorbeigehen wollte, einen
    jähen Haken nach links und warf sich
    zwischen sie.
    »Sieh mal an! Das ist ja Vater Bazouge!« sagte
    Lorilleux. »Der hat heute sein Teil weg.«
    Erschrocken drückte sich Gervaise eng an die
    Tür des Hotels. Vater Bazouge, ein
    Leichenträger in den Fünfzigern, hatte
    Dreckflecke in seiner schwarzen Hose, sein
    schwarzer Mantel war auf der Schulter
    zugehakt, sein schwarzer Lederhut verbeult
    und bei irgendeinem Sturz platt gedrückt.
    »Haben Sie keine Angst, er ist nicht bösartig«,
    fuhr Lorilleux fort. »Er ist ein Nachbar, die
    dritte Stube auf dem Flur, bevor man zu uns
    kommt ... Wenn seine Behörde ihn so sähe,
    wäre er schön dran!«
    Vater Bazouge ärgerte sich allerdings über das
    Entsetzen der jungen Frau.
    »Na, was denn!« lallte er. »In unserem
    Gewerbe wird niemand gefressen ... Ich bin
    genausoviel wert wie ein anderer, das können
    Sie glauben, meine Kleine ... Freilich, ich habe
    eins getrunken. Wenn die Arbeit was
    einbringt, muß man ja mal die Räder
    schmieren. Sie und die ganze Gesellschaft hier
    hätten das Individuum mit seinen sechshundert
    Pfund nicht heruntergebracht, das wir zu zweit
    vom vierten Stock bis auf den Bürgersteig
    geschafft haben, und zwar ohne es kaputt zu
    machen ... Ich liebe fidele Leute.«
    Aber Gervaise drängte sich noch mehr in den
    Türwinkel hinein, von einem heftigen
    Verlangen zu weinen erfaßt, das ihr den
    ganzen Tag voller besonnener Freude verdarb.
    Sie dachte nicht mehr daran, ihre Schwägerin
    zu umarmen, sie flehte Coupeau an, den
    Betrunkenen fortzubringen. Da machte Vater
    Bazouge torkelnd eine Gebärde voller
    philosophischer Verachtung.
    »Das wird nicht verhindern, daß auch Sie
    drankommen, meine Kleine ... Eines Tages
    sind Sie vielleicht ganz froh, daß Sie
    drankommen ... Ja, ich kenne Frauen, die
    danke sagen würden, wenn man sie
    fortschaffte.« Und als sich die Lorilleux
    entschlossen, ihn mitzunehmen, drehte er sich
    um, und er stammelte zwischen zwei
    Schlucksern einen letzten Satz heraus: »Wenn
    man tot ist ... hören Sie sich das an ... wenn
    man tot ist, dann ist man's für lange Zeit.«

    Kapitel IV
    Das wurden vier Jahre harter Arbeit. Im
    Viertel galten Gervaise und Coupeau als ein
    gutes Ehepaar, das zurückgezogen lebte, ohne
    Prügeleien, und Sonntags regelmäßig einen
    Spaziergang in die Gegend von Saint Ouen
    machte. Die Frau arbeitete täglich zwölf
    Stunden bei Frau Fauconnier und fand Mittel
    und Wege, ihr Zuhause blitzsauber zu halten
    und ihrer ganzen Familie morgens und abends
    das Essen vorzusetzen. Der Mann besoff sich
    nicht, brachte seinen vierzehntägigen Lohn
    nach Hause und rauchte vor dem
    Schlafengehen eine Pfeife an seinem Fenster,
    um frische Luft zu schöpfen. Man erwähnte sie
    lobend wegen ihrer Liebenswürdigkeit. Und da
    sie beide zusammen fast neun Francs am Tag
    verdienten, rechnete man aus, daß sie ein
    schönes Stück Geld zurückgelegt haben
    mußten.
    Aber vor allem in der ersten Zeit mußten sie
    sich ganz hübsch placken, um auszukommen.
    Ihre Hochzeit hatte ihnen zweihundert Francs
    Schulden aufgebürdet. Weiter war ihnen das
    Hotel Boncœur ein Greuel; sie fanden es
    widerlich, voll schmutziger Kundschaft. Und
    sie träumten davon, ein Heim zu haben mit
    eigenen Möbeln, die sie pflegen konnten.
    Unzählige Male errechneten sie die
    erforderliche Summe; sie belief sich, rund
    gerechnet, auf dreihundertfünfzig Francs,
    wenn sie wollten, daß sie beim Anschaffen
    ihrer Sachen nicht gleich in Verlegenheit
    gerieten und sie eine Kasserolle oder eine
    Bratpfanne zur Hand hatten, wenn sie diese
    brauchen sollten. Sie gaben die

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