Der Todschlaeger
Hoffnung auf,
eine so große Summe in weniger als zwei
Jahren sparen zu können, als ihnen ein
glücklicher Zufall zu Hilfe kam: ein alter Herr
aus Plassans bat sie um Claude, den älteren der
beiden Jungen, um ihn dort aufs Gymnasium
zu schicken – die großmütige Schrulle eines
Sonderlings, eines Gemäldeliebhabers, auf den
Männerchen, die der Knirps früher mal
hingeschmiert hatte, einen lebhaften Eindruck
gemacht hatten. Claude kostete sie bereits ein
Heidengeld.
Als ihnen nur noch Etienne, der jüngste, zur
Last fiel, brachten sie die dreihundertfünfzig
Francs in siebeneinhalb Monaten zusammen.
An dem Tag, da sie ihre Möbel bei einem
Trödler in der Rue Belhomme kauften,
machten sie vor dem Heimweg einen
Spaziergang über die äußeren Boulevards, und
das Herz ging ihnen auf vor Freude. Es waren
ein Bett, ein Nachttisch, eine Kommode mit
Marmorplatte, ein Schrank, ein runder Tisch
mit Wachstuchdecke, sechs Stühle, alles aus
altem Mahagoni, abgesehen von Bettzeug,
Wäsche und fast neuem Küchengerät. Für sie
war das gleichsam ein ernsthafter und
endgültiger Eintritt ins Leben, etwas was sie
zu Besitzenden machte und ihnen so unter den
angesehenen Leuten des Viertels Geltung
verschaffte.
Seit zwei Monaten nahm sie die Wahl einer
Wohnung in Anspruch. Vor allem wollten sie
eine in dem großen Haus in der Rue de la
Goutted'Or mieten. Aber dort war nicht ein
Zimmer frei, und sie mußten auf ihren alten
Traum verzichten. Offen gestanden war
Gervaise im Grunde nicht böse darüber, die
Nachbarschaft Tür an Tür mit den Lorilleux
jagte ihr Schrecken ein. Da suchten sie
anderwärts. Coupeau legte ganz mit Recht
Wert darauf, nicht zu weit von Frau
Fauconniers Geschäft wegzuziehen, damit
Gervaise zu jeder Tageszeit mit einem Sprung
zu Hause sein konnte. Und schließlich
machten sie einen glücklichen Fund: ein
großes Zimmer mit Kammer und Küche in der
Rue Neuve de la Goutted'Or, fast gegenüber
von der Wäscherin. Es war ein kleines Haus
mit einem einzigen Stockwerk, einer sehr
steilen Treppe, an deren oberem Ende nur zwei
Wohnungen waren, die eine rechts, die andere
links. Das Erdgeschoß bewohnte ein
Wagenvermieter, dessen Fuhrpark auf einem
geräumigen Hof in Schuppen längs der Straße
untergebracht war. Entzückt glaubte sich die
junge Frau in die Provinz zurückversetzt;
keine Nachbarinnen, keine Klatschereien zu
befürchten, ein stiller Winkel, der sie an ein
Gäßchen in Plassans hinter den Wällen
erinnerte; und um das Glück voll zu machen,
konnte sie, wenn sie den Kopf vorstreckte, von
ihrem Arbeitstisch aus ihr Fenster sehen, ohne
ihre Bügeleisen wegzustellen.
Der Einzug fand zum 1. April statt. Gervaise
war damals im achten Monat schwanger. Aber
sie bewies große Tapferkeit und meinte
lachend, das Kind helfe ihr beim Arbeiten; sie
spüre, wie seine Händchen in ihr wuchsen und
ihr Kräfte verliehen. Oh, Coupeau kam
jedesmal schön bei ihr an, wenn er wollte, daß
sie sich hinlege und ein bißchen verhätscheln
lasse! Bei den Wehen werde sie sich hinlegen.
Das sei immer noch früh genug, denn nun, wo
ein Mund mehr da sei, werde man sich tüchtig
ins Zeug legen müssen. Und sie machte die
Wohnung sauber, bevor sie ihrem Mann dabei
half, die Möbel aufzustellen. Sie trieb einen
frommen Kult mit diesen Möbeln, wischte sie
mit mütterlicher Fürsorge ab, und beim
Anblick der geringsten Schramme brach ihr
fast das Herz. Wenn sie beim Ausfegen gegen
sie stieß, hielt sie entsetzt inne, als habe sie
sich selber geschlagen. Besonders die
Kommode war ihr teuer; sie fand, sie sei
schön, solide, sehe seriös aus. Ein Traum, von
dem sie nicht zu sprechen wagte, war, eine
Stutzuhr zu besitzen, die sie mitten auf die
Marmorplatte stellen wollte, wo sie prächtig
gewirkt hätte. Ohne das zu erwartende Baby
hätte sie es vielleicht riskiert, ihre Stutzuhr zu
kaufen. Schließlich verschob sie das mit einem
Seufzer auf später.
Das Ehepaar lebte in einem Gefühl des
Entzückens über seine neue Wohnung.
Etiennes Bett stand in der Kammer, in der man
noch ein weiteres Kinderbett aufstellen konnte.
Die Küche war kaum eine Hand groß und sehr
finster, aber wenn man die Tür offenließ, sah
man ziemlich deutlich darin. Außerdem hatte
Gervaise ja keine Mahlzeiten für dreißig
Personen zuzubereiten; es genügte, wenn sie
dort Platz für ihren Suppentopf fand. Was die
große Stube anging, so war sie beider
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