Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
Vom Netzwerk:
ohne
    Bedeutung. Sie würde es ihm wieder einhaken,
    sein Herz. Sie wisse, wie Herzen wieder
    eingehakt werden: durch Pflege, Sauberkeit,
    feste Freundschaft. Und sie legte eine
    bewundernswerte Zuversicht an den Tag, war
    sicher, ihn allein dadurch gesund zu machen,
    daß sie immer um ihn herum war und ihn in
    den Fieberstunden mit den Händen berührte.
    Sie zweifelte nicht eine Minute. Eine ganze
    Woche lang sah man sie auf den Beinen,
    wortkarg, andächtig in ihrer Starrköpfigkeit,
    ihn zu retten, die Kinder, die Straße, die ganze
    Stadt vergessend. Am neunten Tage, an dem
    Abend, da der Arzt endlich für den Kranken
    bürgte, sank sie mit schlaffen Beinen,
    zerschlagenem Rückgrat, in Tränen aufgelöst
    auf einen Stuhl. In dieser Nacht willigte sie
    ein, zwei Stunden zu schlafen, den Kopf auf
    das Fußende des Bettes gelegt.
    Coupeaus Unfall hatte die ganze Familie in
    Bewegung gesetzt. Mama Coupeau verbrachte
    die Nächte mit Gervaise zusammen, aber
    schon um neun Uhr schlief sie auf ihrem Stuhl
    ein. Frau Lerat machte jeden Abend, wenn sie
    von der Arbeit nach Hause ging, einen großen
    Umweg, um sich nach dem Befinden zu
    erkundigen. Die Lorilleux waren zuerst zwei
    bis dreimal täglich gekommen, hatten sich zur
    Nachtwache angeboten und sogar einen Sessel
    für Gervaise mitgebracht. Dann war es bald zu
    Streitigkeiten über die Art und Weise, Kranke
    zu pflegen, gekommen. Frau Lorilleux
    behauptete, in ihrem Leben genug Menschen
    gerettet zu haben, um zu wissen, wie man das
    anzupacken habe. Sie beschuldigte die junge
    Frau auch, sie anzurempeln und sie vom Bett
    ihres Bruders zu vertreiben. Sicher habe
    Hinkebein allen Grund, Coupeau trotzdem
    gesund machen zu wollen, denn schließlich
    wäre er nicht abgestürzt, wenn sie nicht in die
    Rue de la Nation gegangen wäre und ihn
    gestört hätte. Bloß bei der Art, wie sie mit ihm
    umging, sei sie sicher, ihm den Rest zu geben.
    Als Gervaise sah, daß Coupeau außer Gefahr
    war, hörte sie auf, sein Bett mit soviel
    eifersüchtiger Strenge zu bewachen. Nun
    konnte man ihn ihr nicht mehr umbringen, und
    sie ließ die Leute ohne Mißtrauen näher treten.
    Die Familie machte sich im Zimmer breit. Die
    Genesung sollte sehr lange dauern; der Arzt
    hatte von vier Monaten gesprochen. Nun
    schalten die Lorilleux während des lange
    anhaltenden Schlafes des Bauklempners
    Gervaise eine dumme Person. Damit sei ihr ja
    viel gedient, daß sie ihren Mann zu Hause
    habe. Im Hospital wäre er noch einmal so
    schnell wieder auf die Beine gekommen.
    Lorilleux hätte krank sein, sich irgendein
    Wehwehchen holen mögen, um ihr zu zeigen,
    ob er auch nur eine Sekunde zögern würde, ins
    Hospital Lariboisière zu gehen. Frau Lorilleux
    kenne eine Dame, die eben herausgekommen
    sei; na, morgens und abends habe sie
    Hühnchen gegessen. Und zum xten Male
    stellten beide wieder die Berechnung auf, was
    die vier Genesungsmonate das Ehepaar kosten
    würden: zuerst die verlorenen Arbeitstage,
    dann der Arzt, die Medikamente, und später
    der gute Wein und das nicht durchgebratene

Fleisch. Wenn die Coupeaus bloß ihre paar
    Sous Ersparnisse verschlängen, so sollten sie
    sich noch ganz schon glücklich schätzen. Doch
    sie würden sich in Schulden stürzen, das sei
    anzunehmen. Oh, das sei ihre Sache. Vor
    allem brauchten sie nicht auf die Familie zu
    rechnen, die nicht reich genug sei, um einen
    Kranken zu Hause verpflegen zu können. Da
    sei Hinkebein eben nicht zu helfen, nicht
    wahr? Sie könne es ja wie die anderen machen
    und ihren Mann ins Hospital schaffen lassen.
    Daß sie noch hochmütig sei, das hatte gerade
    noch bei der gefehlt.
    Eines Abends hatte Frau Lorilleux die Bosheit,
    sie schroff zu fragen:
    »Na, und Ihr Laden, wann mieten Sie ihn
    denn?«
    »Ja«, feixte Lorilleux, »die Concierge wartet
    immer noch auf Sie.«
    Gervaise blieb die Luft weg. Den Laden hatte
    sie völlig vergessen. Aber sie sah die
    Schadenfreude dieser Leute bei dem
    Gedanken, daß von nun an der Laden futsch
    sei. Seit diesem Abend lauerten sie in der Tat
    auf Gelegenheiten, um sie über ihren ins
    Wasser gefallenen Traum aufzuziehen. War
    von einer unerfüllbaren Hoffnung die Rede, so
    verschoben sie die Sache auf den Tag, da sie
    Chefin sei in einem schönen, zur Straße
    gelegenen Geschäft. Und hinter ihrem Rücken
    lachten sie sich den Buckel voll. Sie wollte
    nicht so häßliche Vermutungen anstellen; doch
    die Lorilleux erweckten nun wirklich den
    Anschein, als seien sie sehr erfreut

Weitere Kostenlose Bücher