Der Todschlaeger
über
Coupeaus Unfall, der Gervaise daran hinderte,
sich in der Rue de la Goutte d'Or selbständig
zu machen.
Da wollte sie selber lachen und ihnen zeigen,
wie gern sie das Geld für die Genesung ihres
Mannes opfere. Jedesmal wenn sie in ihrer
Gegenwart das Sparkassenbuch unter der
Glasglocke der Uhr hervornahm, sagte sie
heiter: »Ich gehe jetzt meinen Laden mieten.«
Sie hatte das ganze Geld nicht auf einmal
abheben wollen. Sie verlangte es
hundertfrancsweise zurück, um nicht einen so
großen Häufen Geldstücke in ihrer Kommode
aufzubewahren. Außerdem hoffte sie
unbestimmt auf irgendein Wunder, auf eine
plötzliche Wiederherstellung, die es ihnen
erlauben würde, nicht die ganze Summe
abzuholen. Nach jedem Gang zur Sparkasse
rechnete sie, wenn sie wieder nach Hause kam,
auf einem Stückchen Papier das Geld
zusammen, das sie noch dort hatten. Das
geschah einzig und allein der guten Ordnung
halber. Es mochte ein noch so großes Loch in
den Ersparnissen entstehen, sie führte mit ihrer
vernünftigen Miene und ihrem ruhigen
Lächeln Buch über diesen Zusammenbruch
ihrer Ersparnisse. War es nicht schon ein
Trost, daß man dieses Geld so gut verwendete
und es im Augenblick ihres Unglücks zur
Hand hatte? Und ohne jedes Bedauern legte
sie das Sparkassenbuch sorgsam wieder hinter
die Uhr unter die Glasglocke.
Die Goujets zeigten sich während Coupeaus
Krankheit sehr nett zu Gervaise. Frau Goujet
stand ganz zu ihrer Verfügung: sie ging nicht
ein einziges Mal hinunter, ohne sie zu fragen,
ob sie Zucker, Butter, Salz brauche. An den
Abenden, da sie Suppenfleisch aufsetzte, bot
sie ihr immer die erste Brühe an. Wenn sie
sah, daß Gervaise allzuviel zu tun hatte,
kümmerte sie sich sogar um ihre Küche, legte
beim Geschirrabwaschen Hand mit an. Goujet
holte jeden Morgen die Eimer der jungen Frau
und füllte sie an der Wasserleitung in der Rue
des Poissonniers; das war eine Ersparnis von
zwei Sous. Nach dem Abendessen, wenn nicht
die Familie in das Zimmer einfiel, kamen die
Goujets und leisteten den Coupeaus
Gesellschaft. Zwei Stunden lang, bis zehn Uhr,
rauchte der Schmied seine Pfeife und sah zu,
wie sich Gervaise um den Kranken bemühte.
Er sprach den ganzen Abend keine zehn
Worte. Mit seinem großen, blonden, tief
zwischen seinen Riesenschultern sitzenden
Gesicht war er gerührt, wenn er sah, wie sie
Kräutertee in eine Tasse goß, den Zucker
umrührte, ohne mit dem Löffel zu klappern.
Wenn sie Laken und Bettdecke einschlug und
Coupeau mit sanfter Stimme Mut zusprach,
war er ganz erschüttert. Nie zuvor war er einer
so tüchtigen Frau begegnet. Es stand ihr nicht
einmal schlecht, daß sie hinkte, denn dadurch
war es noch verdienstvoller von ihr, daß sie
sich den ganzen Tag über mit ihrem Mann
abquälte. Man konnte wirklich nichts sagen,
sie setzte sich nicht eine Viertelstunde, nicht
einmal solange, wie man zum Essen braucht.
Unaufhörlich lief sie zum Apotheker, steckte
ihre Nase in nicht gerade saubere Dinge, gab
sich eine Heidenmühe, diese Stube, in der alles
gemacht wurde, in Ordnung zu halten; trotz
alledem keine Klage, immer freundlich, selbst
an den Abenden, da sie so müde war, daß sie
im Stehen mit offenen Augen schlief. Und in
dieser auf opferungsvollen Atmosphäre,
inmitten der auf den Möbeln herumliegenden
Medikamente faßte der Schmied eine große
Zuneigung zu Gervaise, wenn er sah, wie sie
Coupeau so von ganzem Herzen liebte und
pflegte.
»Na, alter Junge, jetzt bist du ja wieder
zusammengeflickt«, sagte er eines Tages zu
dem Genesenden. »Ich war auch gar nicht in
Sorge, deine Frau ist ja der liebe Gott!« Er
selber sollte heiraten. Wenigstens hatte seine
Mutter ein sehr passendes junges Mädchen
gefunden, eine Spitzenklöpplerin wie sie, und
sie wünschte lebhaft, ihn mit ihr vermählt zu
sehen. Um ihr keinen Kummer zu machen,
sagte er ja, und die Hochzeit wurde sogar auf
die ersten Septembertage festgesetzt. Das Geld
zur Gründung eines eigenen Hausstandes ruhte
seit langem auf der Sparkasse. Aber er
schüttelte den Kopf, wenn Gervaise mit ihm
über diese Heirat sprach, und er murmelte mit
seiner langsamen Stimme: »Alle Frauen sind
nicht so wie Sie, Madame Coupeau. Wenn alle
Frauen so wie Sie wären, würde man zehn
heiraten.« Indessen konnte Coupeau nach zwei
Monaten anfangen aufzustehen. Er spazierte
nicht weit, vom Bett zum Fenster, und noch
dazu von Gervaise gestützt. Dort setzte er
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