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Der Todschlaeger

Der Todschlaeger

Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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über
    Coupeaus Unfall, der Gervaise daran hinderte,
    sich in der Rue de la Goutte d'Or selbständig
    zu machen.
    Da wollte sie selber lachen und ihnen zeigen,
    wie gern sie das Geld für die Genesung ihres
    Mannes opfere. Jedesmal wenn sie in ihrer
    Gegenwart das Sparkassenbuch unter der
    Glasglocke der Uhr hervornahm, sagte sie
    heiter: »Ich gehe jetzt meinen Laden mieten.«
    Sie hatte das ganze Geld nicht auf einmal
    abheben wollen. Sie verlangte es
    hundertfrancsweise zurück, um nicht einen so
    großen Häufen Geldstücke in ihrer Kommode
    aufzubewahren. Außerdem hoffte sie
    unbestimmt auf irgendein Wunder, auf eine
    plötzliche Wiederherstellung, die es ihnen
    erlauben würde, nicht die ganze Summe
    abzuholen. Nach jedem Gang zur Sparkasse
    rechnete sie, wenn sie wieder nach Hause kam,
    auf einem Stückchen Papier das Geld
    zusammen, das sie noch dort hatten. Das
    geschah einzig und allein der guten Ordnung
    halber. Es mochte ein noch so großes Loch in
    den Ersparnissen entstehen, sie führte mit ihrer
    vernünftigen Miene und ihrem ruhigen
    Lächeln Buch über diesen Zusammenbruch
    ihrer Ersparnisse. War es nicht schon ein
    Trost, daß man dieses Geld so gut verwendete
    und es im Augenblick ihres Unglücks zur
    Hand hatte? Und ohne jedes Bedauern legte
    sie das Sparkassenbuch sorgsam wieder hinter
    die Uhr unter die Glasglocke.
    Die Goujets zeigten sich während Coupeaus
    Krankheit sehr nett zu Gervaise. Frau Goujet
    stand ganz zu ihrer Verfügung: sie ging nicht
    ein einziges Mal hinunter, ohne sie zu fragen,
    ob sie Zucker, Butter, Salz brauche. An den
    Abenden, da sie Suppenfleisch aufsetzte, bot
    sie ihr immer die erste Brühe an. Wenn sie
    sah, daß Gervaise allzuviel zu tun hatte,
    kümmerte sie sich sogar um ihre Küche, legte
    beim Geschirrabwaschen Hand mit an. Goujet
    holte jeden Morgen die Eimer der jungen Frau
    und füllte sie an der Wasserleitung in der Rue
    des Poissonniers; das war eine Ersparnis von
    zwei Sous. Nach dem Abendessen, wenn nicht
    die Familie in das Zimmer einfiel, kamen die
    Goujets und leisteten den Coupeaus
    Gesellschaft. Zwei Stunden lang, bis zehn Uhr,
    rauchte der Schmied seine Pfeife und sah zu,
    wie sich Gervaise um den Kranken bemühte.
    Er sprach den ganzen Abend keine zehn
    Worte. Mit seinem großen, blonden, tief
    zwischen seinen Riesenschultern sitzenden
    Gesicht war er gerührt, wenn er sah, wie sie
    Kräutertee in eine Tasse goß, den Zucker
    umrührte, ohne mit dem Löffel zu klappern.
    Wenn sie Laken und Bettdecke einschlug und
    Coupeau mit sanfter Stimme Mut zusprach,
    war er ganz erschüttert. Nie zuvor war er einer
    so tüchtigen Frau begegnet. Es stand ihr nicht
    einmal schlecht, daß sie hinkte, denn dadurch
    war es noch verdienstvoller von ihr, daß sie
    sich den ganzen Tag über mit ihrem Mann
    abquälte. Man konnte wirklich nichts sagen,
    sie setzte sich nicht eine Viertelstunde, nicht
    einmal solange, wie man zum Essen braucht.
    Unaufhörlich lief sie zum Apotheker, steckte
    ihre Nase in nicht gerade saubere Dinge, gab
    sich eine Heidenmühe, diese Stube, in der alles
    gemacht wurde, in Ordnung zu halten; trotz
    alledem keine Klage, immer freundlich, selbst
    an den Abenden, da sie so müde war, daß sie
    im Stehen mit offenen Augen schlief. Und in
    dieser auf opferungsvollen Atmosphäre,
    inmitten der auf den Möbeln herumliegenden
    Medikamente faßte der Schmied eine große
    Zuneigung zu Gervaise, wenn er sah, wie sie
    Coupeau so von ganzem Herzen liebte und
    pflegte.
    »Na, alter Junge, jetzt bist du ja wieder
    zusammengeflickt«, sagte er eines Tages zu
    dem Genesenden. »Ich war auch gar nicht in
    Sorge, deine Frau ist ja der liebe Gott!« Er
    selber sollte heiraten. Wenigstens hatte seine
    Mutter ein sehr passendes junges Mädchen
    gefunden, eine Spitzenklöpplerin wie sie, und
    sie wünschte lebhaft, ihn mit ihr vermählt zu
    sehen. Um ihr keinen Kummer zu machen,
    sagte er ja, und die Hochzeit wurde sogar auf
    die ersten Septembertage festgesetzt. Das Geld
    zur Gründung eines eigenen Hausstandes ruhte
    seit langem auf der Sparkasse. Aber er
    schüttelte den Kopf, wenn Gervaise mit ihm
    über diese Heirat sprach, und er murmelte mit
    seiner langsamen Stimme: »Alle Frauen sind
    nicht so wie Sie, Madame Coupeau. Wenn alle
    Frauen so wie Sie wären, würde man zehn
    heiraten.« Indessen konnte Coupeau nach zwei
    Monaten anfangen aufzustehen. Er spazierte
    nicht weit, vom Bett zum Fenster, und noch
    dazu von Gervaise gestützt. Dort setzte er

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