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Der Todschlaeger

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Titel: Der Todschlaeger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlo von der Birke
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Arbeiterinnen mit entblößter Brust in
    rötlichem Wrasen.
    Da Goujet sah, daß Gervaise wegen Etienne
    Ungelegenheiten hatte, und er ihn vor
    Coupeaus Tritten in den Hintern bewahren
    wollte, hatte er ihn zum Blasebalgziehen in
    seiner Bolzenfabrik angeworben. Wenn der
    Beruf eines Nagelschmieds auch wegen des
    Schmutzes in der Schmiede und der
    Langweiligkeit, immer auf dieselben Stücke
    Eisen schlagen zu müssen, an und für sich
    nichts Schmeichelhaftes an sich hatte, so war
    es doch ein einträglicher Beruf, in dem man an
    die zehn bis zwölf Francs täglich verdiente.
    Der Kleine, der jetzt zwölf Jahre alt war,
    konnte doch bald damit anfangen, wenn ihm
    das Handwerk lag. Und so war Etienne ein
    Band mehr zwischen der Wäscherin und dem
    Schmied geworden. Dieser brachte das Kind
    heim und berichtete über seine gute Führung.
    Alle Welt meinte lachend zu Gervaise, Goujet
    sei in sie verschossen. Sie wußte es wohl, sie
    errötete wie ein junges Mädchen mit einem
    Anflug von Schamhaftigkeit, die ihr die
    lebhaften Tönungen eines Borsdorfer Apfels
    auf die Wangen legte. Ach, der arme und liebe
    Junge, er sei ja nicht lästig! Nie habe er zu ihr
    von so was gesprochen, nie eine schmutzige
    Handbewegung, nie ein zotenhaftes Wort. So
    eine ehrliche Haut treffe man nicht oft. Und
    ohne es sich eingestehen zu wollen, empfand
    sie heftige Freude darüber, so geliebt zu
    werden wie eine Madonna. Wenn ihr irgendein
    ernsthafter Verdruß widerfuhr, dachte sie an
    den Schmied; das tröstete sie. Blieben sie
    allein zusammen, so waren sie durchaus nicht
    verlegen; lächelnd schauten sie einander an,
    offen ins Gesicht, ohne sich zu erzählen, was
    sie fühlten. Es war eine vernünftige zärtliche
    Zuneigung, die nicht an häßliche Dinge
    dachte, weil es noch immer besser ist, die
    Ruhe zu bewahren, wenn man es einrichten
    kann, glücklich zu sein, auch wenn man ruhig
    dabei bleibt.
    Unterdessen stellte Nana gegen Ende des
    Sommers das Haus auf den Kopf. Sie war
    sechs Jahre alt und ließ sich wie ein
    vollendeter Taugenichts an. Ihre Mutter
    brachte sie jeden Morgen in eine kleine
    Kostschule in der Rue Polonceau, zu Fräulein
    Josse, damit sie ihr nicht dauernd vor die
    Beine laufe. Dort band sie von hinten die
    Kleider ihrer Mitschülerinnen fest; sie füllte
    die Schnupftabakdose der Lehrerin mit Asche,
    kam auf noch weniger anständige Einfälle, die
    man nicht erzählen konnte. Zweimal setzte
    Fräulein Josse sie vor die Tür, nahm sie dann
    wieder auf, um die sechs Francs im Monat
    nicht einzubüßen. Gleich nach Schluß des
    Unterrichts rächte sich Nana dafür, daß man
    sie eingesperrt hatte, indem sie einen
    Höllenspektakel in der Toreinfahrt und auf
    dem Hof veranstaltete, wohin die Plätterinnen,
    denen die Ohren dröhnten, sie zum Spielen
    schickten. Dort traf sie Pauline wieder, die
    Tochter von Boches, und Victor, den Sohn von
    Gervaises früherer Arbeitgeberin, einen
    großen, läppischen Bengel von zehn Jahren,
    der leidenschaftlich gern mit kleinen Mädchen
    zusammen herumtollte. Frau Fauconnier, die
    sich mit den Coupeaus nicht überworfen hatte,
    schickte selber ihren Sohn hin. Zudem
    herrschte im Hause ein ungewöhnliches
    Gewimmel von Knirpsen, Schwärme von
    Kindern, die zu allen Stunden des Tages die
    vier Treppen herunterpolterten und wie
    Scharen keifender und räuberischer Spatzen
    auf das Pflaster einfielen. Allein Frau Gaudron
    ließ neun los, blonde, braune, schlecht
    gekämmte, schlecht geschneuzte, mit bis ans
    Gesicht reichenden Hosen, auf die Schuhe
    heruntergerutschten

    Strümpfen

    und
    aufgeschlitzten Jacken, die die weiße Haut
    unter dem Dreck sehen ließen. Eine andere
    Frau, eine Brotausträgerin aus dem fünften
    Stock, ließ sieben los. Aus allen Stuben kamen
    Horden. Und in diesem Gekrabbel von
    Ungeziefer mit rosigen Schnäuzchen, die
    jedesmal, wenn es regnete, abgewaschen
    wurden, sah man Große mit gewitzter Miene,
    Dicke, die schon schmerbauchig wie Männer
    waren, und winzig Kleine, die aus der Wiege
    geschlüpft, noch schlecht auf den Beinen, ganz
    dumm waren und auf allen vieren krochen,
    wenn sie laufen wollten. Nana herrschte über
    diesen Haufen Gören; sie spielte das Fräulein
    »Alles hört auf mein Kommando« bei
    Mädchen, die doppelt so groß waren wie sie,
    und geruhte allein Pauline und Victor – enge
    Vertraute, die ihre Launen unterstützten –
    etwas von ihrer Macht abzutreten. Diese
    erbärmliche Göre redete unaufhörlich davon,
    Mama zu spielen,

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