Der Todschlaeger
»Hm! Hm!« aus, um sich zu
beweisen, daß er noch einen schönen Baß
hatte. Er begann, das Gelage vom Vortage
abzustreiten, ein kleiner Schwips vielleicht. So
einen wie ihn gebe es nicht wieder, schwer auf
dem Posten, ein verteufelt forscher Kerl, der
alles trinke, was er wolle, ohne mit der
Wimper zu zucken. Alsdann bummelte er den
ganzen Nachmittag im Viertel umher. Wenn er
die Arbeiterinnen tüchtig geärgert hatte, gab
ihm seine Frau zwanzig Sous, damit er sich
hinausscherte. Er machte sich aus dem Staube
und ging in die »PetiteCivette«47 in der Rue
des Poissonniers seinen Tabak kaufen, wo er
gewöhnlich eine Branntweinpflaume zu sich
nahm, wenn er einen Freund traf. Dann haute
er das Zwanzigsousstück vollends bei François
an der Ecke der Rue de la Goutted'Or auf den
Kopf, wo es einen hübschen Wein gab, der
ganz jung war und den Schlund kitzelte. Es
war eine Kaschemme alten Stils, ein düsterer
Laden mit niedriger Decke und einer
verräucherten Gaststube nebenan, in der Essen
verkauft wurde. Und er blieb dort bis zum
Abend und trudelte Schoppen Wein aus. Er
bekam alles auf Pump bei Frangois, der
ausdrücklich versprach, die Rechnung niemals
seiner Alten vorzulegen. Nicht wahr, man
mußte sich doch ein bißchen die Rachenrinne
spülen, um sie von den Schlacken des
Vortages zu befreien. Und ein Glas Wein reizt
zum anderen. Er war übrigens immer ein
feiner Kerl, der dem schönen Geschlecht keine
Schnippchen schlug, der bestimmt gern einen
Spaß machte und der sich die Nase begoß,
wenn er dran war, aber mit Anstand und voller
Verachtung für die Schweinereien der dem
Alkohol verfallenen Männer, die man nicht
aus dem Suff herauskommen sieht! Lustig und
galant wie ein Fink pflegte er heimzukehren.
»Ist dein Liebhaber gekommen?« fragte er
Gervaise manchmal, um sie zu necken. »Man
erblickt ihn ja gar nicht mehr, ich werde ihn
holen müssen.«
Der Liebhaber, das war Goujet. In der Tat
vermied er es, zu oft zu kommen, aus Angst,
zu stören und zu Gerede Anlaß zu geben. Er
ergriff jedoch jeden Vorwand, brachte die
Wäsche, ging unzählige Male auf dem
Bürgersteig vorbei. Hinten im Laden gab es
eine Ecke, wo er gern stundenlang sitzen blieb,
ohne sich zu rühren, und seine kurze Pfeife
rauchte. Einmal alle zehn Tage wagte er sich
abends nach dem Essen hin, ließ sich dort
nieder; er war nicht gerade gesprächig, sein
Mund war wie zugenäht, der Blick auf
Gervaise gerichtet, und er nahm seine Pfeife
nur aus dem Mund, um über alles zu lachen,
was sie sagte. Wenn man in der Werkstatt
sonnabends länger aufblieb, vergaß er die Zeit
und schien dort mehr Vergnügen zu haben, als
wenn er ins Theater gegangen wäre.
Manchmal plätteten die Arbeiterinnen bis drei
Uhr morgens. Eine Lampe hing an einem
Eisendraht von der Decke herab; der
Lampenschirm warf ein großes Rund grellen
Lichtes, in dem die Wäschestücke das weiche
Weiß von Schnee annahmen. Das
Lehrmädchen hängte die Fensterläden vor dem
Geschäft an; aber da die Julinächte
brennendheiß waren, ließ man die Tür zur
Straße offen. Und je weiter die Stunde
vorrückte, um so weiter hakten die
Arbeiterinnen ihre Kleider auf, um es sich
bequem zu machen. Sie hatten eine feine, im
Schlaglicht der Lampe ganz goldige Haut,
besonders die üppig gewordene Gervaise, mit
den blonden, wie Seide schimmernden
Schultern und einer Babyfalte am Hals, deren
kleines Grübchen er nach dem Gedächtnis
hätte zeichnen können, so gut kannte er es. Da
wurde er von der starken Hitze der Maschine
und vom Geruch der unter den Bügeleisen
dampfenden Wäsche erfaßt; und er glitt in ein
leichtes Benommensein hinüber, das Denken
erschlafft, die Augen in Anspruch genommen
von den Frauen, die sich abhasteten, die ihre
nackten Arme schwenkten, die Nacht damit
verbrachten, das Viertel in Sonntagsstaat zu
stecken. Rings um den Laden schliefen die
Nachbarhäuser ein, die tiefe Stille des Schlafes
sank langsam herab. Es schlug Mitternacht,
dann ein Uhr, dann zwei Uhr. Die Wagen, die
Fußgänger waren verschwunden. Nun sandte
allein die Tür einen Lichtstreifen, der einem
auf der Erde entrollten Stück gelben Stoffs
glich, auf die menschenleere und schwarze
Straße hinaus. Dann und wann tönte fern ein
Schritt, ein Mann kam näher; und wenn er den
Lichtstreifen durchquerte, reckte er den Kopf,
überrascht von dem Aufsetzen der Bügeleisen,
das er hörte, und nahm die rasche Vision mit
von
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