Der Törichte Engel
Hügel hinauf, der flüchtenden Konifere hinterher, und zum fünfzigsten Mal an diesem Tag dachte er, dass sein Leben um einiges einfacher gewesen war, als er noch gekifft hatte.
»Junge, so was sieht man auch nicht jeden Tag«, sagte Tucker Case, der an einem Fenstertisch im H.P.’s Café saß und darauf wartete, dass Lena von der Toilette zurückkam, wo sie sich etwas frisch machen wollte. Das H.P.’s – eine Mischung aus Pseudo-Tudor und Landküchenkitsch – war das beliebteste Restaurant von Pine Cove, und heute Abend war es proppenvoll.
Die Kellnerin, ein hübscher Rotschopf in den Vierzigern, sah von ihrem Tablett mit den Getränken auf, die sie eben brachte, und sagte: »Ja, Theo verfolgt nur selten jemanden.«
»Dieser Volvo war hinter einem Tannenbaum her«, sagte Tuck.
»Könnte sein«, erwiderte die Kellnerin. »Theo hat früher Drogen genommen.«
»Nein, ehrlich …«, wollte Tuck erklären, aber sie war schon wieder auf dem Weg in die Küche. Lena kam an den Tisch zurück. Noch immer trug sie dieses schwarze Tanktop unter ihrem offenen Flanellhemd, aber sie hatte sich den Dreck aus dem Gesicht gewaschen, und das dunkle Haar fiel gekämmt auf ihre Schultern. Tuck fand, sie sah aus wie eine von diesen sexy, aber hartgesottenen Indianerinnen im Film, die immer eine Gruppe verklemmter Geschäftsleute in die Wildnis führten, wo sie von bösen Rednecks, mutierten Bären (nach dem Kontakt mit phosphathaltigem Waschmittel) oder übellaunigen Indianergeistern angegriffen wurden.
»Du siehst toll aus«, sagte Tuck. »Bist du indianisch?«
»Was war das da eben mit der Sirene?«, fragte Lena, als sie sich auf den Platz ihm gegenüber gleiten ließ.
»Nichts. Irgendwas draußen auf der Straße.«
»Es ist einfach falsch.« Sie sah sich um, als wüssten alle, wie falsch es war. »Falsch.«
»Nein, es ist gut«, sagte Tuck mit breitem Lächeln und versuchte, seine blauen Augen im Kerzenschein blitzen zu lassen, hatte aber vergessen, wo genau seine Blitzmuskeln lagen. »Wir essen nett zusammen, lernen uns ein bisschen kennen.«
Sie beugte sich über den Tisch und flüsterte harsch: »Da draußen liegt ein toter Mann. Ein Mann, mit dem ich mal verheiratet war.«
»Schschscht«, schschte Tuck, drückte sanft einen Finger an ihre Lippen, gab sich Mühe, tröstend und vielleicht ein wenig europäisch zu klingen. »Jetzt ist nicht der rechte Zeitpunkt, darüber zu sprechen, meine Hübsche.«
Sie packte seinen Finger und bog ihn um. »Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
Tuck saß verdreht auf seinem Platz und lehnte sich zurück, um dem unnatürlichen Winkel entgegenzuwirken, in dem sein Finger gebogen war. »Appetizer?«, schlug er vor. »Salat?«
Lena ließ seinen Finger los und schlug die Hände vors Gesicht. »Ich kann das nicht.«
»Was? Es ist doch nur ein Abendessen«, sagte Tuck. »Ohne Verpflichtung.« Er war noch nicht oft mit Frauen ausgegangen – er hatte sich zwar mit vielen Frauen getroffen und sie verführt, aber nie über mehrere Abende hinweg bei Essen und Gespräch. Normalerweise hatten ein paar Drinks und anzügliche Bemerkungen in der Bar des Flughafenhotels genügt. Er hatte das Gefühl, es wurde Zeit, dass er sich wie ein Erwachsener benahm und eine Frau kennen lernte, bevor er mit ihr ins Bett ging. Der Vorschlag war von seiner Therapeutin gekommen, kurz bevor sie die Behandlung abbrach, weil er sie angebaggert hatte. Es würde nicht leicht werden. Seiner Erfahrung nach lief es mit Frauen erheblich besser, bevor sie ihn näher kennen lernten … solange sie noch Hoffnung und Potenzial auf ihn projizieren konnten.
»Wir haben gerade meinen Exmann begraben«, sagte Lena.
»Schon, aber dann haben wir den Armen Weihnachtsbäume gebracht. Sieh es positiv, hm? Schon viele Leute haben ihre Ehepartner begraben.«
»Aber nicht selbst. Und nicht mit dem Spaten, mit dem sie ihn ermordet haben.«
»Du solltest vielleicht etwas leiser sprechen.« Tuck sah sich nach den anderen Gästen an den Nachbartischen um, wollte sichergehen, dass sie nicht belauscht wurden, aber alle schienen über den Baum zu diskutieren, der eben draußen vorbeigefahren war. »Reden wir von was anderem. Interessen? Hobbys? Filme?«
Lena schüttelte den Kopf, als hätte sie ihn nicht richtig verstanden, dann starrte sie ihn an, als wollte sie sagen: Spinnst du?
»Also, zum Beispiel«, fuhr er fort, »habe ich gestern Abend einen echt seltsamen Film gesehen. Wusstest du, dass Babes in Toyland ein Weihnachtsfilm
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