Der tolle Nick
Sie hatte keinen besonderen Grund für ihre Vorsicht, denn sie war sicher, daß sie Sir Nicholas nie wiedersehen würde; doch wollte sie ihre Tante auf keinen Fall in ihr Geheimnis einweihen. Doña Beatrice war in ihren Augen wie eine Schnecke, die eine Spur schleimigen Giftes nach sich zog. Was sie anrührte, beschmutzte sie; alle Tugenden erschienen in ihren Augen ein wenig lächerlich; und über die Laster lächelte sie nur.
Sie schockierte ihre Nichte von allem Anfang an vor allem durch ihre Ansichten über die Religion. Als ihr auffiel, daß Dominica selten zur Messe ging, sprach Doña Beatrice darüber und meinte, daß es klug wäre, regelmäßig zu gehen.
Dominica, die vor ihrer eigenen Kühnheit erschrak und vielleicht nur durch den gleichgültigen Ausdruck ihrer Tante aufgestachelt war, zeigte eine Neigung zur reformierten Kirche. Doña Beatrices Reaktion ließ sie auffahren und schockierte sie zutiefst.
»Meinetwegen, meine Liebe«, hatte Doña Beatrice gemeint. »Aber es wäre dumm, solche Ansichten der Öffentlichkeit preiszugeben. Du kannst so ketzerisch sein, wie du willst, aber laß bitte Frater Pedro nichts davon merken. Spricht man einmal darüber, so kann es sehr unangenehme Folgen haben. Ich bitte dich, die äußeren Formen der Religion zu respektieren.«
Und das aus dem Mund einer angeblich gläubigen Katholikin! Dominica hatte sich scharfen Tadel erwartet, hatte sich auf eine Strafpredigt gefaßt gemacht. Aber diese ruhige Ermahnung, eine Heuchlerin zu werden, schien ihr über alle Maßen verabscheuungswürdig. Sie funkelte ihre Tante wütend an, gehorchte ihr am Ende aber doch.
11
Als Dominica erfuhr, daß zu Don Diegos Geburtstag ein Ball gegeben werden sollte, berief sie sich darauf, daß sie noch in Trauer sei und daher an diesem Fest nicht teilnehmen werde. Sie vermutete, daß dieser Ball, den sie als Geburtstagsfeier für einen Mann keineswegs angebracht hielt, sie umstimmen sollte. Vielleicht war er sogar als Vorspiel zu ihrer Verlobung gedacht. Sie würde jedenfalls nicht erscheinen.
Doña Beatrice reagierte auf diesen Entschluß mit einem Seufzer. »Meine Liebe, du bist sehr anstrengend. In Spanien ist es nicht üblich, daß junge Mädchen ihren Verwandten mitteilen, was sie wollen und was sie nicht wollen. Sei so freundlich und gib nach.«
»Ihr könnt es doch nicht für schicklich halten, Señora, wenn ich so kurz nach dem Tode meines Vaters tanzen gehe!«
»Ich halte es erst recht nicht für schicklich, wenn du die ganze Zeit mit trübem Gesicht in deiner Kammer sitzt«, antwortete Doña Beatrice. »Wir werden ein neues Kleid für dich nähen lassen. Nichts belebt die Sinne mehr als ein neues Kleid, glaube mir. Du solltest allerdings noch keine bunten Farben tragen. Ein Samtkleid wäre vielleicht das richtige.«
»Ich habe nicht die Absicht zu erscheinen«, wiederholte Dominica.
»Oder vielleicht ein schlichtes weißes Taftkleid«, fuhr Doña Beatrice unbeirrt fort. »Wir müssen es uns noch überlegen.«
»Tante!«
»Ja, mein Kind. Versuchst du noch immer, deinen Kopf durchzusetzen? Das ist sehr undankbar von dir. Sei so freundlich, gehorche mir in diesem einen Fall, und sprechen wir nicht mehr davon.«
»Ich bedaure sehr, daß Ihr mich für unvernünftig haltet, Señora«, erwiderte Dominica förmlich. »Aber wenn ich Euch in diesem Fall gehorche, werdet Ihr von mir erwarten, daß ich dies auch in – anderer Hinsicht tue.«
»Du meinst, was deine Vermählung betrifft«, nickte ihre Tante. »Das hat damit eigentlich gar nichts zu tun, meine Liebe. Ob du nun auf den Ball gehst oder nicht, ich möchte auf jeden Fall, daß du dich vermählst. Du wirst doch nicht glauben, daß die Obsorge um eine Nichte einem gleichgültigen Menschen wie mir solch großes Vergnügen bereitet.«
»Dann zeigt mir, bitte, einen anderen Bewerber«, erwiderte Dominica heftig.
Doña Beatrice griff nach ihrem Fächer. »Ich hätte dich für klüger gehalten!« sagte sie. »Welchen Vorteil hätten wir von einem anderen Bewerber?«
Die braunen Augen funkelten. »Mit anderen Worten, Ihr habt es nur auf mein Vermögen abgesehen. Endlich höre ich die Wahrheit!«
»Natürlich, mein Kind. Was hattest du gedacht?« Doña Beatrice blieb ungerührt. »Unsere Vermögenslage ist beklagenswert. Du bist für uns ein Geschenk des Himmels.«
Dominica blickte sich in dem reich ausgestatteten Raum um. »Auf den ersten Blick ist Eure Armut allerdings schwer zu erkennen!«
»Natürlich. Wir sind ja auch alle
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