Der tolle Nick
lächerlich das ganze Getue ist, das wir um den Tod machen, aber so ist es eben Sitte – und dagegen stelle ich mich nie.«
»Señora – ich mag meinen Vetter nicht!«
Doña Beatrice ließ sich nicht aus der Fassung bringen. »Nein, meine Liebe, das habe ich auch nicht angenommen. Ich finde ihn recht unansehnlich und langweilig. Aber was hat denn das mit eurer Hochzeit zu tun? Verfalle doch nicht in den dummen Irrtum, Liebe mit Heirat zu verwechseln. Die beiden haben nichts miteinander zu tun.«
»In meinen Augen haben sie sehr viel miteinander zu tun. Ich kann niemanden heiraten, den ich nicht liebe.«
Ihre Tante verbarg das Gähnen hinter ihrem Fächer; sie sah amüsiert, aber tolerant drein. »Laß dir raten, meine Liebe, und lege diese dummen Ideen ab. Heirate, wie es den Gegebenheiten entspricht, und liebe mit Diskretion. Ich kann dir versichern, daß sich das alles ganz einfach ergibt, wenn man einmal verheiratet ist. Solange du noch unverheiratet bist, kannst du gar nicht anders als prüde sein. Wenn du einmal deinen eigenen Haushalt hast, wird das alles ganz anders.«
Dominica fuhr auf, konnte aber nicht umhin, vor sich hin zu kichern. »Señora, ratet Ihr mir wirklich, meinen Vetter zu heiraten, damit ich mir nachher einen Liebhaber nehmen kann?« fragte sie halb schockiert, halb erheitert.
»Aber natürlich, mein Kind, wenn das dein Wunsch ist. Nur mußt du immer mit Diskretion vorgehen. Skandale sind etwas sehr Häßliches, und es besteht nicht der geringste Anlaß, einen solchen zu entfachen, wenn man nur ein bißchen umsichtig ist. Nimm dir an mir ein Beispiel!«
Dominica sah sie fast sprachlos an. »Tante!«
»Was hast du denn?« fragte Doña Beatrice und sah sie einen Augenblick voll an. »Du hast doch nicht etwa angenommen, daß ich deinen Onkel aus Liebe geheiratet habe?«
Dominica fühlte sich jung, dumm und verlegen. »Das wußte ich nicht, Señora, aber ich will meinen Vetter nicht heiraten. Er ist – er ist – kurz und gut, Señora, ich mag ihn nicht.«
Ihre Tante sah sie schweigend mit einem wohlwollenden Lächeln an, das Dominica besonders aufreizend fand, und sagte kein Wort mehr.
Aber so einfach war die Sache nicht aus der Welt gebracht. Don Diego wurde immer zudringlicher; er ließ sich durch nichts abweisen, genauso wie seine Mutter schenkte er keinem Argument Gehör. Dominica griff nach Beauvallets Siegelring, den sie am Halse trug, und zeigte Don Diego die kalte Schulter.
Manchmal betrachtete sie den Ring, wenn sie allein war, und erinnerte sich daran, unter welchen Umständen sie ihn empfangen hatte und welche Worte damals gefallen waren. Sie hatte in jenem Augenblick fest an Beauvallets Absichten geglaubt, war ganz dem Einfluß seiner starken Persönlichkeit erlegen. Selbst jetzt, wenn sie sein Bild vor ihren Augen heraufbeschwor, wieder sein lachendes Gesicht, seine schwarzen Locken vor sich sah, kam ein wenig von dem ehemaligen Vertrauen zurück. Doch dauerte diese Stimmung nicht lange an. Draußen, auf hoher See, war alles möglich erschienen; hier, im strengen, ernsten Spanien, schien es ihr oft, als hätte sie ihre Romanze nur im Traum erlebt. Nur ein Ring war ihr geblieben, der sie an die Wirklichkeit erinnerte; und wenn auch ihr Herz noch immer ihren geheimen Träumen nachhing, so sagte ihr der Verstand, daß sie unmöglich wären; sie wußte, daß Beauvallet nie kommen würde.
Vielleicht hatte er sie vergessen; vielleicht tändelte er in eben diesem Augenblick mit einer Engländerin, so wie er mit ihr getändelt hatte. Und doch hatte er gesagt: »Ich werde nie vergessen«, und es war ihm ernst gewesen.
Sie fragte sich, was ihre Tante sagen würde, wenn sie auch nur die Hälfte des Geschehenen wüßte. Jeder andere wäre entsetzt, doch war es Dominica unmöglich, sich ihre Tante einer so heftigen Gemütsbewegung hingegeben zu sehen. Wahrscheinlich würde sie über ihre Liebesgeschichte lachen; sie, die in ihrer Jugend genügend Liebhaber gehabt hatte, würde ihre Nichte vielleicht sogar verstehen, doch sähe sie sicher in dieser kurzen Romanze kein Hindernis für Dominicas Heirat mit Don Diego.
Dominica hatte sich von allem Anfang an peinlichst bemüht, diesen Abschnitt ihrer Vergangenheit vor ihrer Tante zu verbergen. Erwähnte man Beauvallet, so zeigte sie sich bewundernswert gleichgültig – im vollen Bewußtsein, daß dies der beste Schutz gegen jeden Verdacht wäre. Sie erklärte, daß man ihn wohl überschätze; er wäre wirklich nicht außergewöhnlich.
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