Der Torwächter Bd. 1 - Der Torwächter
betrachtete Simon forschend, dann drehte er sich um und sah zu jemandem hinter sich. »Ist er das?«
Ein zweites Gesicht quetschte sich in die Öffnung, es war das von Ira, Simon erkannte sie erleichtert. Sie nickte. »Das ist er.«
Simon wollte auf Ira zugehen, doch sie hob warnend die Hand. »Warte, ich führe dich.«
Ihr verbundenes Bein vorsichtig über die Steinkante hebend, kletterte sie aus dem Loch und ging in rätselhaften Schlangenlinien über den Dachboden auf ihn zu. Wortlos ergriff sie seine Hand, um ihn auf dem gleichen Weg zurückzuführen. Simon sah, dass sie konzentriert auf den Boden blickte. Nun entdeckte auch er die kaum sichtbaren Kerben im Holz, die die Strecke markierten, auf der sie gehen konnten. Die anderen Bodendielen waren zu morsch, begriff er, sie würden nicht halten, wenn man sie betrat.
Ira bestätigte seine Vermutung. »Wenn jemand unser Versteck sucht und den Weg nicht kennt, bricht er ein.« Sie grinste zufrieden.
Endlich erreichten sie die Mauer und Ira kletterte durch dasLoch. Kurz blieb sie mit ihrem Verband an einem Steinvorsprung hängen. Simon half ihr, sich zu befreien, dann folgte er ihr auf die andere Seite. Der Junge mit der Stupsnase, der innen gewartet hatte, zog das künstliche Stück Mauer wieder vor die Öffnung.
»Herzlich willkommen.« Ira lächelte. Auch der Junge mit der Stupsnase lächelte freundlich. Zwei weitere Jugendliche saßen auf einer Kiste im Hintergrund und beobachteten Simon genau.
Neugierig sah sich Simon um. Der Raum war groß und gemütlich eingerichtet, mit Teppichen auf dem Boden und Tüchern an den Dachsparren, mit Obstkisten, auf denen man sitzen konnte oder die als Tisch genutzt wurden. Ein Teller mit einer Reihe halb abgebrannter Kerzenstumpen stand auf einer der Steigen. In einer Ecke sah Simon eine Matratze, darauf lagen Kissen, eine Decke und eine Sporttasche, aus der Kleidung heraushing. In einem Blumentopf unter dem Fenster wuchsen Kräuter.
»Was ist das hier?« Simon schnupperte, während er sich umschaute. Es roch gut, sehr würzig, wie in der Küche seiner Mutter.
»Das war mal unser Hauptquartier. Jetzt wohnt hier Filippo.«
Der Junge neben Ira grinste. »Mein neuer Zweitwohnsitz. Ist doch super, oder?« Er bereitete seine Arme aus, als würde er voller Stolz ein prachtvolles Haus präsentieren. Dabei rutschte seine Mütze, die sein Gesicht halb verdeckt hatte, etwas zur Seite. Simon sah über Filippos Auge einen dunklen blauroten Fleck. Jemand hatte ihn vor nicht allzu langer Zeit geschlagen.
Verlegen zog Filippo seine Mütze wieder in die Stirn.
Ira hatte den Blickwechsel beobachtet. Sie ging zu Simon und griff seinen Arm. »Komm. Ich stell dir Luc und Tomas vor.« Sie zog ihn mit sich zu ihren beiden anderen Freunden.
»Das ist Luciano.« Ira wies auf den Kleineren der beiden, ein schmaler, vielleicht zwölf Jahre alter Junge. »Wir nennen ihn nur Luc. Er ist der Kleinste von uns. Ist aber ganz pfiffig in der Birne.«
Luc grinste verlegen.
»Und das ist Tomas.« Ira zeigte auf den Jungen neben Luc. Er war älter als alle anderen, Simon schätzte ihn auf mindestens fünfzehn.
Tomas musterte Simon wortlos. Er war groß, hatte dunkelbraune, halblange Haare, und seine Augenbrauen waren elegant geschwungen, was ihn interessant aussehen ließ. Eine kleine Narbe leuchtete unter seinem linken Auge. Sein Blick war misstrauisch und seine Stimme klang unfreundlich. »Was willst du hier?«
Ira ging dazwischen, bevor Simon antworten konnte. »Musst du ihn gleich so anmachen?« Ärgerlich funkelte sie Tomas an.
Der ließ sich nicht einschüchtern. »Zum Rumquatschen haben wir keine Zeit. Er soll sagen, was er will, und dann wieder abhauen.«
»Schon vergessen? Ich hab ihn hergebracht.«
»Ja, genau. Weiß ich, ob wir ihm trauen können?«
Filippo trat zwischen die beiden. »Könntet ihr euch streiten,wenn ihr alleine seid?« Er wandte sich Simon zu. »Tomas will mit seinen freundlichen Worten sagen, dass er darauf brennt, endlich zu erfahren, warum Ira dich anschleppt. Du musst wer ganz Besonderes sein, denn so was macht sie nicht so oft. Also?« Er betrachtete ihn neugierig.
Simon zögerte. »Womit soll ich anfangen?«
Filippo grinste, während er sich schwungvoll auf die Matratze warf. »Vielleicht mit deinem Namen?« Er verschränkte die Arme unter seinem Kopf und sah ihn abwartend an.
»Okay. Also, ich bin Simon. Wir sind gerade erst hierhergezogen.« Er berichtete, wo sie wohnten und wo sie herkamen, und erzählte,
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