Der Torwächter Bd. 1 - Der Torwächter
dass sein Vater hier geboren war. Seine Eltern hatten sich kennengelernt, als seine Mutter hier im Dorf die Ferien verbracht hatte.
»Echt?« Filippo war erstaunt. »Dein Opa ist der verrückte Maler?«
»Mein Opa ist nicht verrückt.«
»Aber schon seltsam, oder?«
Simon dachte nach. Er hatte seinen Großvater nie als seltsam empfunden, eher als jemanden, der etwas Besonderes war.
Ira war immer noch ärgerlich, jetzt traf es Filippo. »Was sollen denn die Sprüche über seinen Opa?«
Filippo zuckte mit den Schultern. »Ich mein, das weiß doch jeder hier im Ort, dass der einen an der Waffel hat.«
»Und was ist normal? Wenn man sich so wie dein Vater jedes Wochenende besäuft und dann grölend durch die Straßen rennt?«
Filippos Blick versteinerte.
Tomas stand ungeduldig auf. »Hört auf!« Er wandte sich Simon zu. »Jetzt sag schon, warum du hier bist.«
Simon zögerte. Ira hatte gemeint, dass er hierherkommen sollte. Erwartungsvoll sah sie ihn an. »Na los, jetzt sag schon. Erzähle ihnen, was du mir erzählt hast!«
15
Nachdem Simon alles berichtet hatte, war es eine Weile still. Er hatte nichts ausgelassen, angefangen bei ihrem überraschenden Umzug bis hin zu den leuchtenden Augen im nächtlichen Garten. Auch von seinem Besuch in der Stadt und der Eishand auf der Fassade des Towers berichtete er.
Filippo sprach als Erster. »Krass. Und das sollen wir dir glauben?«
Simon zuckte mit den Achseln. »Musst du ja nicht. Ich glaub’s ja selber kaum.«
Tomas erhob sich genervt. Ein paarmal hatte er während Simons Bericht ungläubig geschnaubt, jetzt sah er so aus, als überlege er, ob er Simon gleich oder erst später rausschmeißen sollte. Gereizt sah er Ira an. »Tickst du noch ganz richtig?«
Ira fuhr hoch. »Was soll denn der Spruch?«
»Seit wann frisst du jeden Scheiß, den man dir erzählt?«
Ira wurde blass vor Wut. Doch bevor sie antworten konnte, legte Simon seine Hand auf ihren Arm. Tomas zog seine Augenbrauen zusammen, als er es sah.
»Vergiss es, Ira«, sagte Simon, »ich verzieh mich. War ’ne blöde Idee, hierherzukommen.« Er nickte Luc und Filippo zu und ging zum Ausgang, um den Raum zu verlassen.
»Warte.« Es war Luc, der Simon zurückhielt.
Alle drehten sich zu ihm um. Es schien etwas Besonderes zu sein, dass er sprach.
Luc öffnete den Mund. Für einen Moment schienen die Worte in ihm festzustecken, doch dann redete er. »Ich hab sie auch gesehen.«
»Was hast du gesehen?«
»Die leuchtenden Augen.«
Filippo setzte sich verblüfft auf. »Echt? Wann?«
»Ist schon länger her. Oben am Hang über dem Dorf.«
»Und warum hast du uns nichts davon gesagt?«
Luc hob hilflos die Schultern. »Hättet ihr mir das geglaubt?«
Keiner seiner Freunde antwortete.
Simon zog sich eine Kiste heran und setzte sich Luc gegenüber. »Erzähl mir, was du gesehen hast.«
Luc nickte. Stockend begann er zu berichten. »Es war letztes Jahr. Ich war in den Hügeln unterwegs, um die Adler zu beobachten. Plötzlich kam dieses Gewitter und ich bin zur großen Eiche gelaufen.«
»Spinnst du?« Ira sah ihn vorwurfsvoll an. »Du stellst dich bei Gewitter unter einen Baum?«
»Ich wollte mich dort gar nicht unterstellen«, verteidigte sich Luc beleidigt, »ich wollte zur Hütte auf der Wiese dahinter.«
Simon wusste, welche Hütte Luc meinte. Eigentlich war es nicht mehr als ein verfallener Unterstand, er befand sich in Sichtweite vom Haus des Großvaters in einer windgeschützten Senke. Früher, als auf dem Hügel noch Schafe weideten, hatten sich dort bei Regen oder Sturm die Schäfer mit ihren Tieren untergestellt. Inzwischen kamen keine Schafe mehr, die Sonne hatte das fruchtbare Grün verbrannt, und auf dem Hügel wuchs nur noch struppiges Unkraut, das kein Tier fressen wollte.
»Ich bin bis zur Hütte gelaufen«, erzählte Luc. »Die Wolken wurden immer dichter. Und dann ging es los. Es war das schlimmste Gewitter, das ich je erlebt habe.«
»Stimmt.« Simon nickte.
Tomas sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Woher willst du das denn wissen? Bist du jetzt auch noch Hellseher?«
Simon ließ sich nicht reizen. »Ich bin auch da gewesen in dieser Nacht«, antwortete er ruhig und begegnete Tomas’ Blick. »Ich habe es gesehen.«
Auch im letzten Sommer hatten sie den Großvater besucht, wie schon in den Jahren zuvor. Doch dieses Mal waren sie die ganzen Ferien über bei ihm geblieben. Sein Opa hatte viel Zeit mit ihm verbracht, er erkundete mit ihm die Gegend, ging mit ihm
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