Der Torwächter Bd. 1 - Der Torwächter
gehört hatte, war verstummt.
Zögernd ging Simon um das Haus herum. Die Werkstatt war dunkel, auch die Scheune lag wie verlassen da. Oder flackerte dort im Inneren ein Licht? Angestrengt starrte Simon in die Dunkelheit. Nein, er musste sich getäuscht haben. Vielleicht war es besser, wieder zurück ins Haus zu gehen.
Plötzlich traf ihn ein Windstoß und die Blätter über ihm begannen zu tanzen.
»Salvatore!«
Erschrocken fuhr er zusammen. Das Wispern war lauter gewesen als zuvor und die Stimme hatte drängender geklungen.
»Komm näher, Salvatore!«
Ohne nachzudenken, lief Simon durch das Gartentor in den Garten. Er fürchtete sich, doch zugleich spürte er die Kraft, die von der Stimme ausging. Er würde tun müssen, was sie ihm sagte.
Langsam ging er auf die Scheune zu. Die Tür stand einen Spalt weit offen. Jetzt sah er, dass tatsächlich Licht in der Scheune war, ein weißes Leuchten, das das Fenster von innen funkeln ließ und heller wurde, je näher er kam. Simon spürte, wie ihm kalt wurde. Auch die Kälte kam aus dem Inneren der Scheune. Simon beobachtete, wie das Gras vor dem Türspalt weiß wurde. Wassertropfen, die sich auf den Halmen niedergeschlagen hatten, froren zu weiß schimmernden Perlen. Sie wurden größer und größer, bis sie abbrachen und leise klirrend zu Boden fielen.
Simons Angst wuchs. Mit aller Kraft wehrte er sich gegen die Macht, die ihn vorwärtszog. Zitternd blieb er stehen.
»Nein, Salvatore«, wisperte die Stimme, »geh weiter! Du gehörst hierher zu mir!«
Die Stimme klang schmeichelnd, sie lockte ihn, doch Simon hatte das Gefühl, dass sie ihn umkreiste wie ein blutsaugendes Insekt, das darauf wartete, zuzustechen.
Er musste weg hier!
Simon wollte sich umdrehen, um zurück zum Haus zu laufen, als er erschrocken bemerkte, dass er seine Füße nicht mehr bewegen konnte. Sie hafteten am Boden, als wären sie dort festgeklebt. Verzweifelt zerrte er an seinen Beinen, er versuchte die Füße zu heben, nahm seine Hände zu Hilfe, um seine Schuhsohlen vom Boden zu lösen, doch es war vergeblich.
Hilfe suchend sah er sich um. Im Haus war es dunkel, bis auf das Licht in der Küche. Er öffnete den Mund, um seine Mutter zu Hilfe zu rufen, doch bis auf ein leises Krächzen kam kein Laut aus seiner Kehle. Er versuchte es noch einmal, aber vergeblich: Die Macht, die ihn in ihrer Gewalt hatte, war zu stark.
Ein Zittern durchlief seine Beine. Erschrocken sah Simon, wie sich sein rechter Fuß einen Schritt nach vorne bewegte, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Dann bewegte sich sein linker Fuß, dann wieder der rechte. Schritt für Schritt näherte er sich der Scheunentür.
Panik ergriff ihn. Er ahnte, wenn er die Scheune erst einmal betreten hatte, würde ihm niemand mehr helfen können.
Im gleichen Moment krachte es im Gebüsch und ein Schatten jagte heran. Erschrocken wollte Simon zurückweichen, doch die fremde Kraft hielt ihn fest. Der Schatten löste sich vom Boden, brach durch die Äste des Busches neben Simonund sprang auf ihn zu. Schützend hob Simon seine Arme vor das Gesicht.
Doch der Aufprall, mit dem er gerechnet hatte, blieb aus. Stattdessen war ein Knurren zu hören. Vorsichtig blinzelte Simon durch seine erhobenen Arme. Ashakida stand vor ihm, die Augen des Raubtieres leuchteten in der Nacht.
Die Leopardin öffnete ihr Maul, und ihre weißen Reißzähne blitzten auf. Wütend fauchte sie ihn an. »Was hast du getan?«
»Hilf mir, bitte!«
Unruhig peitschte der Schwanz der Leopardin hin und her. »Lauf fort, wenn ich es dir sage.«
Simon nickte.
Die Leopardin drehte sich um und schnellte auf den Lichtstrahl zu, der durch den Spalt der Scheunentür hinaus in die Dunkelheit fiel. Mit einem großen Satz, die Krallen der Tatzen ausgefahren, sprang sie direkt in das Licht. Es sah so aus, als würde sie den Strahl packen, um ihn festzuhalten. Ashakidas Fell leuchtete auf.
»Jetzt!«, schrie die Leopardin.
Im gleichen Moment, in dem sich Ashakida der Macht entgegenstellte und zu kämpfen begann, spürte Simon, wie die Kraft, die ihn erfasst hatte, plötzlich losließ. Ohne zu zögern, drehte er sich um und rannte zurück zum Gartentor. Er wollte es aufreißen, doch das Tor ließ sich nicht bewegen, sosehr er auch daran zerrte. Kurzerhand kletterte er über den Zaun und lief den Weg zurück, den er gekommen war. Vor der Hausecke drehte er sich noch einmal um und sah zurück zur Scheune: Ashakida kämpfte mit einem Gegner, den Simon nicht sehenkonnte. Ihr Fell
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