Der Torwächter Bd. 1 - Der Torwächter
wie sich Ira hinter ihm an ihn lehnte. Sie wurden immer schneller, bis sie wie ein Pfeil die Straße hinabschossen. Fast hätte sie die Geschwindigkeit aus einer der Kurven getragen, doch Ira half ihm, indem sie ihn flüsternd dirigierte. Weiter, als er es sich sonst getraut hätte, lehnte er sich mit ihr in die Kurven. Gemeinsam gelang es ihnen, das Board, ohne zu stürzen, bis hinab zum Dorf zu steuern. Simon ballte die Fäuste: Sie hatten es geschafft!
Im gleichen Moment, sie hatten gerade die Tankstelle am Dorfeingang passiert, spürte er, wie sich Iras Griff lockerte. Ihre Beine knickten ein, und ihre Arme, die sie um seinen Körper geschlungen hatte, rutschten ab.
»Ira!« Erschrocken versuchte Simon, sie festzuhalten, doch es gelang ihm nicht. Ihr Körper erschlaffte, dann fiel sie vom Brett.
Simon bremste und riss das Board herum. So schnell er konnte, rannte er zurück zu ihr.
Mit verrenkten Gliedern lag Ira im Staub der Straße.
Simon stürzte zu ihr. Er rüttelte sie. »Komm, steh auf! Wir müssen weiter.«
Ira rührte sich nicht.
Voller Angst beugte er sich über sie und legte sein Ohr an ihren Brustkorb. Erleichtert hörte er ihr Herz schlagen.
Dann sah er es, und der Anblick war furchtbar: Nicht nur ihr Fuß, sondern auch ein Teil ihres Beines war inzwischen blau verfärbt, die Kälte war hinauf in ihren Körper gekrochen. Zentimeter für Zentimeter schob sich der Frost weiter.
Ashakida hetzte heran, sie war ein großes Stück vorausgelaufen, ehe sie bemerkt hatte, dass Simon zurückgeblieben war. Sie sah sofort, was mit Ira passierte.
Aufgeregt blickte Simon die Leopardin an. »Wir müssen ihr helfen! Was soll ich tun?«
Ashakida senkte bedrückt den Kopf. »Du kannst ihr nicht helfen. Komm.«
Simon war entsetzt: »Aber wir können sie doch hier nicht liegen lassen!«
»Es ist Drhans Atem, Simon. Er wird sie nicht loslassen. Die Kälte wird ihr Herz erreichen, bevor wir sie fortbringen können.«
»Dann müssen wir Drhan aufhalten! Es muss einen Weg geben!«
Das frostige Knirschen, das sie bei ihrer rasenden Fahrt hinter sich zurückgelassen hatten, wurde wieder lauter. Simon blickte zurück, und was er sah, ließ ihn erschauern. Die gesamte Landschaft vereiste. In einer riesigen Welle rollte die Kälte den Hügel hinab und ließ alles erfrieren, was sich ihr in den Weg stellte. Immer größer wurde die vereiste Fläche, Drhans eisiger Atem, der aus dem offenen Weltentor strömte, breitete sich in alle Richtungen aus. Bald würde nicht nur der Hügel, sondern die gesamte Küste aussehen, als wäre ein Eissturm über sie hinweggezogen. Simon war klar, es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Welle das Dorf erreichte. Der Frost würde in die Straßen kriechen, er würde die Fenster sprengen und die Türen aufbrechen. Die Häuser würden vereisen, und mit ihnen die Menschen, die dort lebten. Niemand würde fliehen können.
Ashakida legte ihre Tatze auf seinen Arm. »Du kannst nichts mehr tun. Es ist stärker als du. Du musst jetzt an dich denken. Bring dich in Sicherheit.«
Simon schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht! Es ist meine Schuld, dass das alles passiert.«
»Wird es besser, wenn du hierbleibst? Kämpfe, wenn es sinnvoll ist. Und fliehe, wenn du keine Chance hast.«
Simon weigerte sich, Ashakidas Urteil anzunehmen. Er sah zu Ira. Die Kälte in ihr war noch ein Stück höher gekrochen,sie hatte nun auch ihre Hüfte erfasst. Ira stöhnte leise. Simon beugte sich über sie und strich tröstend über ihre Stirn. Verblüfft zuckte er zurück, Iras Kopf glühte. Ihr Körper versuchte anscheinend mit aller Kraft, sich gegen die Kälte zu wehren.
Simon hielt inne. Ein Gedanke durchschoss ihn.
Noch einmal legte er seine Hand auf Iras heiße Stirn.
Jetzt wusste er, was er tun musste.
41
»Feuer!« Aufgeregt blickte Simon auf. »Wir brauchen Feuer!« Sein Herz hämmerte.
Ashakida verstand ihn nicht.
»Was hilft gegen Kälte? Hitze.« Simon sprang auf. »Wir müssen ein Feuer entzünden!«
»Und wie stellst du dir das vor?« Ashakida knurrte ungeduldig und wies auf den Hügel. »Sieh, was auf uns zukommt!«
Simon ließ sich nicht beirren. Hastig durchsuchte er seine Taschen und fand die Schachtel mit Streichhölzern, die er am Nachmittag eingesteckt hatte.
»Und jetzt?« Ashakida fauchte unruhig, als sie die Zündhölzer sah. »Willst du ein Lagerfeuer entzünden, damit wir uns wärmen? Vergiss es und komm!«
Doch Simon beachtete sie nicht. Suchend schaute er sich um.
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