Der Tote am Hindenburgdamm: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
gefunden. Die NSDAP, Partei der Nationalsozialisten, und ihr Ableger, die DVFP, mit dem gleichen Symbol, waren offiziell verboten. Aber auch Jung hatte von ihr gesprochen, als ob sie ganz legal sei.
»Die DNVP ist mir sowieso zu konservativ«, flüsterte Ose noch, dann war sie fort.
Asmus wurde von der Menge geschluckt, die mittlerweile in den Saal drängte. Auf einen Stuhl verzichtete er zugunsten eines Stehplatzes an der Wand, wo er Platz fand zwischen einem jungen Mann, der den Eindruck eines neugierigen Gastes machte, und einem älteren Einheimischen, dessen Hose über dem gestreiften Hemd von Hosenträgern gehalten wurde. Mit seinen lehmverschmierten Holzpantoffeln wirkte er unter Kaufleuten fehl am Platz. Wie Asmus selber, der auch Holzpantinen trug. Glücklicherweise war er nicht in Uniform und sah mit seinem blonden Haar so friesisch aus wie sein hosenträgerbewehrter Nachbar.
Es gab auch andere, die keine Friesen waren. Asmuswandte hastig sein Gesicht ab, als er Ferdinand Schröder erkannte, der als einer der letzten in den Saal schlüpfte und höflich mit großer Geste auf einen frei gebliebenen Platz in der Mitte der Reihen gewinkt wurde. Vermutlich hatte er genau solches Aufsehen vermeiden wollen.
Der Asmus nicht bekannte Redner – er mochte der Bürgermeister oder ein Kaufmann oder beides sein – trat ans Pult. »Leeve Landslüd, liebe Landsleute«, begann er, »zugunsten all derjenigen, denen Plattdeutsch nicht so geläufig ist – und ihrer gibt es gottlob viele, Sylt wird nicht aussterben –, werde ich fortan Hochdeutsch sprechen und bitte auch alle, die sich mit einem Beitrag melden, dies zu tun.«
Als das leise Gelächter verstummt war, sprach er tragend weiter. »Wie wir alle wissen, verdanken wir das täglich wachsende Elend auf unserer geliebten Insel Sylt den unsäglichen Bedingungen des Versailler Vertrages, den die Verräter von Zentrum und SPD unterzeichnet haben. Hinzu kommt die tägliche Hetze wegen unserer angeblich alleinigen Kriegsschuld, immer wieder von den Kommunisten vorgetragen. Ich weiß mich mit euch allen einig, die ihr diese hochverräterische Einstellung verabscheut.«
Der Flensburger vielleicht ausgenommen, dachte Asmus, während die Versammlung in frenetisches Klatschen ausbrach.
»Umso schlimmer sind diese Störaktionen, weil sie fast täglich mit Dingen vermischt werden, die unsere wichtigsten Einnahmen betreffen, das Geschäft, das wir gerade mit Kraft wieder zu beleben suchen: den Fremdenverkehr in allen seinen Facetten. Vom Hotelier über den Kaufmann bis zum Betrieb, der Kutschfahrten unternimmt.«
Der Jüngling neben Asmus, in Knickerbockern und losem Kittelhemd, meldete sich.
»Ja, bitte? Zwischenfragen sind gern gestattet, sagte ich das schon?«
Alle drehten sich zum Fragesteller um. Asmus versuchte vergeblich, sich zu verstecken, schließlich fummelte er ziellos in seinem Gesicht herum, um es einigermaßen zu verdecken.
»Aus allen Ecken der Republik kommen seit mehrerenJahren Meldungen über Judenfreiheit von Stränden. Oder die Anschläge an Hotels: Juden und Hunde dürfen hier nicht herein . Wie hält es die Sylter DNVP damit?«, fragte der Mann, der sich allein durch seine ungewohnte Sprache als Gast aus dem Süden zu erkennen gab. »Die DNVP gilt als antisemitisch.«
Tiefes Schweigen senkte sich über die Versammlung, in der es vorher wegen Räuspern, Husten, Füßescharren und anderen Begleitgeräuschen nie ganz lautlos zugegangen war.
»Das spielt bei uns keine Rolle«, antwortete der Redner etwas mühsam.
»Sollte es aber, Herr Müller! Kriegs- und Inflationsgewinnler gehen uns alle an!«, geiferte der Mann mit der Hakenkreuzbinde. »Davor schützt uns nur die NSDAP!«
»Du bist hier in der falschen Versammlung, Böhrnsen«, rief jemand, den Asmus nicht sehen konnte, und einige klatschten zum Einverständnis.
»Böhrnsen hat doch recht. Lasst ihn sprechen«, hörte Asmus aus dem Durcheinander heraus, das sich zwischen Anhängern und Gegnern der DNVP entwickelte, aber schnell abebbte.
»Ich möchte zur Sache kommen«, erhob der Redner die Stimme, um unverzüglich fortzufahren. »Wir haben längst nicht die Gästezahl wiedergewonnen, wie wir sie vor dem Krieg hatten. Wir brauchen mehr und bessere Angebote, um sie herzulocken. Was wir ausreichend haben, sind Lesesäle und Räumlichkeiten für Konzerte. Was wir brauchen, sind Spielsäle in Kombination mit neuen und moderneren Bars, Restaurants und Cafés. Mit anderen Worten, es bietet sich
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