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Der Tote am Lido

Der Tote am Lido

Titel: Der Tote am Lido Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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stanken nach Schlamm und Moder und drückten ihn allmählich gegen den Bassinboden. Er stemmte sich in den Liegestütz und arbeitete sich mit Händen und Füßen aus dem wachsenden Berg.
    Als er die Wasseroberfläche erreicht hatte, sah er Ciro auf einem Kranfahrzeug sitzen und johlend einen Ausleger schwenken, an dessen Kette ein quadratischer Korb baumelte. Sein Bruder dagegen fuhr mit einem Gabelstapler hin und her und schaffte die Körbe herbei. Jetzt erkannte Lunau den Inhalt. Es waren keine Steine, sondern Muscheln. Venusmuscheln. Ein Lastzug war rückwärts in die Halle gestoßen, die Heckflügel des Laderaums standen offen, und die beiden luden die stinkenden Muscheln ab. Lunau sah wieder einen Korb über sich schweben. Er kletterte über den Beckenrand und hechtete in das Nachbarbassin. Ciro verfolgte ihn mit dem Ausleger, wieder traf ihn ein Schwall von Muscheln und drückte ihn in die Tiefe. Aber er wusste jetzt, wie er sich wehren konnte. Er stellte sich aufrecht, die Hände schützend über den Kopf gelegt, so dass die Schalentiere von ihm abprallten und sein Rumpf aus dem wachsenden Berg ragte.
    Da ertönte ein Schrei. Kranwagen und Gabelstapler verstummten. Lunau sah sich um. Unter dem Neonlicht am Eingang der Halle stand ein dritter Mann: Totò De Santis. Sein halb abgefressenes Ohr leuchtete rot, seine Stirn glänzte. Er trug einen Karton in den Händen, und hielt gleichzeitig seinen weißen Pitbull an der Leine, dessen dreieckiger Schädel auseinanderklappteund ein giftiges Bellen von sich gab. Totò De Santis ließ seinen Blick über den nackten Lunau, die halbgefüllten Bassins und die beiden Brüder wandern.
    »Was seid ihr eigentlich für zwei Vollidioten?«, schrie er.
    Die beiden standen da und schwiegen. Dann erhob sich Ciro vom Sitz des Kranwagens und sagte: »Er hatte eine Lektion verdient. Ich lasse mich doch nicht auf offener Straße anspucken. Das ist eine Herabwürdigung unserer ganzen Familie.«
    Totò betrachtete Ciro mit all dem Widerwillen, dem man einem lebenslangen Klotz am Bein entgegenbringt. »Unsere Familie. Du warst als Kind schon zu blöd, bei irgendwem die Hausaufgaben abzuschreiben. Ich habe versucht, dir eine simple Aufgabe zu geben. Diesen Scheißlieferwagen zu fahren und den Niggern Beine zu machen. Selbst dazu bist du zu beschränkt.«
    Pasquale flüsterte: »Ich hatte ihm gesagt, wir müssen uns beeilen.«
    »Du hältst die Schnauze. Du bist noch bekloppter. Bei dir frage ich mich wirklich, ob du überhaupt mein Bruder bist. Papà war erst acht Monate tot, als du auf die Welt gekommen bist.«
    Pasquale wirkte, als hätte man ihn geohrfeigt. »Was soll das heißen? Willst du unsere Mutter beleidigen?«
    Totò winkte ab. »Du bist dümmer als Scheiße. Ausgerechnet hier müsst ihr das veranstalten? Habt ihr mal darüber nachgedacht, wo wir hier sind?«
    »Er ist hier einfach so hereingeschneit.«
    »Ich hatte ihn nur gebeten, mich zu Ihnen zu bringen«, mischte Lunau sich ein. »Ich wollte Ihnen sagen, dass Sie gewonnen haben. Sie werden in Ihrem ganzen Leben nicht mehr von mir hören. Nichts von dem, was ich erfahren habe, wird weitergegeben werden. Dafür lassen Sie Silvia und die Kinder in Frieden.«
    Jetzt blickte Totò De Santis Lunau angewidert an, der immer noch nackt in der trüben Chlorbrühe, bis zur Hüfte in den schmierigen Venusmuscheln, stand. De Santis schien das erst jetzt zu realisieren. »Sie halten die Schnauze. Ziehen Sie sich an, sonst kann ich nicht überlegen. Wie sehen Sie überhaupt aus?«
    De Santis beruhigte seinen Hund und stellte den Karton ab. Dieser war gefüllt mit Etiketten der »Venusmuschel aus Goro, DOP«, das Gütesiegel, auf das Goro das Monopol hatte. Die Muscheln, in denen Lunau stand, verdienten dieses Siegel gewiss nicht. Und jetzt wurde ihm klar, wozu die Halle umfunktioniert worden war: Man türkte die Muscheln. Das Chlorwasser diente dazu, mit Bakterien und Toxinen verunreinigte Tiere notdürftig zu desinfizieren. Danach würde man die aus illegalen Quellen stammende Ware als Spitzenprodukt verpacken und vermarkten. Das also war Obas neuer Nebenjob. Die Schwarzen waren die idealen Handlanger. Sie würden schweigen, so wie sie immer schwiegen, weil sie Illegale waren.
    Hatte Meseret deshalb sterben müssen? Weil er nicht geschwiegen hatte? Weil er sein Wissen mit jemandem geteilt hatte? Mit wem? Mit Gianella? Das hieß allerdings, dass Gianella von Anfang an über die MachenschaftenBescheid wusste. Und jetzt wusste auch Lunau

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