Der Tote am Lido
Bescheid.
»Sie haben mein Ehrenwort«, sagte er. »Sie lassen mich gehen, Sie lassen Silvia und ihre Kinder in Frieden, und dafür schweige ich.«
»Schnauze«, sagte De Santis.
Er wandte sich ab, holte sein Handy aus der Tasche und verschwand mit dem Hund in dem verglasten Büro im Rückraum. Lunau trocknete sich mit seinem T-Shirt ab und zog sich an, bewacht von den beiden Brüdern, die einander wortlose Blicke zuwarfen. Totò De Santis ruderte heftig, schwieg, redete schnell, schwieg wieder. Diesmal bekam er die Abreibung.
Lunau war klar, dass in diesem Moment über sein Schicksal entschieden wurde. Und nicht von De Santis. Der Gedanke stand wie eine verlässliche Tatsache vor ihm, und während er sich noch wunderte, dass er so ruhig war, fingen seine Beine zu zittern an.
Nach elf Minuten kam Totò De Santis zurück. Sein Hund trabte auf klackernden Tatzen neben ihm her und ließ das Maul pendeln. Lunau musste jetzt agieren. Ciro hatte seine Pistole, verdeckt von einem Blouson, im Gürtel stecken. Aber er stand auf der anderen Seite des Bassins. Für Lunau unerreichbar. Ob Totò und Pasquale eine Waffe trugen, konnte man nicht erkennen.
De Santis’ Miene war entspannt. Er sah seine beiden Brüder an und ließ dann seinen Kopf Richtung Kaspar Lunau zucken. Die beiden Brüder waren, so tumb und begriffsstutzig sie wirken mochten, blitzschnell. Cirozog seine Waffe und zielte auf Lunaus Brust. Pasquale kam durch die Halle, zog sein verrotztes Stofftaschentuch aus der Hosentasche und knebelte Lunau damit. Während der Pitbull geiferte, wurden Lunau Hände und Füße gefesselt, er wurde auf den Betonboden gelegt, jeweils ein Müllsack wurde über seinen Kopf und seine Beine gezogen. Sie stachen ein paar Luftlöcher hinein und wickelten eine Schnur um das Paket.
Dann hoben sie Lunau hoch und trugen ihn aus der Halle. Sie warfen ihn in den Kofferraum eines großen Autos und deckten ihn mit einer Plane zu. Der Hund sprang hinterher, kletterte auf dem Bündel herum und stieß mit seiner warmen Schnauze gegen Lunaus Kinn.
51
Gianella setzte sich in seinen Uno und schaute über das graue Wasser. Er hatte kein Boot gefunden, das die passenden Kollisionsspuren aufwies. Er hatte alle Kais in seinem Fischereihafen abgesucht, aber an keiner Jolle, an keinem Kutter befand sich eine Schramme, wie sie der silbergraue Aluminiumrumpf von Meserets Boot hinterlassen haben musste.
Gianella hatte die »Joy« in den Hangar eines Freundes gezogen und Zentimeter für Zentimeter unter die Lupe genommen. Im Kiel waren vier fast quadratische Löcher, die von einem Pickel oder Ähnlichem stammten, und am Bug gab es eine Delle, an der weißer Kunststoff hing. Das Salzwasser hatte ihn nicht abwaschenkönnen – so heftig war der Kontakt gewesen. Aber mit wem war Meseret kollidiert? Mit einem Raubfischer? Aus dem benachbarten Comacchio? Oder gar aus Chioggia?
Gianella startete den Motor und ließ den Wagen aus dem Hafen rollen. Es gab noch eine naheliegende Möglichkeit. Die Marina von Goro, südlich von der Sacca. Dort lagen die Yachten. Und unter den Yachten war weiß gefärbtes Kunstharz der gewöhnlichste Baustoff.
Er fuhr über die schmale Asphaltstraße an der Deichflanke, kam an der Kaserne der Küstenwache vorbei, fuhr auf die Deichkrone und sah die schlanken Bootskörper, die weiß wie Möwen auf der blauen See wippten. Dieser Anblick hatte ihn immer heiter gestimmt, auch wenn eine Yacht für ihn unerschwinglich war. Er ließ den Wagen vom Deich rollen, parkte und ging auf den ersten Holzsteg. Er war alleine in der Marina. Es gab nicht einmal einen Wachdienst. Etwa sechzig Boote lagen da.
Nach nicht einmal zwanzig Minuten hatte er eine Motoryacht gefunden, deren Beschädigungen am Bug, unterhalb der Ankerkette, zur Schramme an der »Joy« passten. Eine Ferretti 560, eine schlichte, aber sagenhaft teure Yacht, die Gianella aus den Prospekten kannte, die er manchmal, wenn er Träumen nachhing, wälzte. Zwei 900-PS-Benzinmotoren, ein Tank mit über 3000 Litern Fassungsvermögen. Aber allein für eine Tankfüllung hätte Gianella über einen Monat arbeiten müssen.
Gianella sah sich um. Es dämmerte, niemand war in der Nähe. Die Yacht wiegte sich behäbig und glucksend im leichten Wellengang.
Sollte er die Polizei rufen? Aber was sollte er ihr sagen? Dass er Meserets Boot auf seiner Parzelle gefunden hatte? Niemand würde glauben, dass er unschuldig war. Auch Lunau verdächtigte ihn, Meseret beseitigt zu haben, um an dessen
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