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Der Tote am Lido

Der Tote am Lido

Titel: Der Tote am Lido Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Foersch
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werden mir die Wahrheit sagen.«
    Lunau sah, wie De Santis’ Augäpfel anschwollen. »Wieso haben Sie Michael auf Sara gehetzt?«
    »Das habe ich … nicht.«
    »Wieso haben Sie ihm gesagt, dass Joy bei mir war?«
    De Santis schwieg. Lunau holte die Waffe und drückte Sie ihm ins Auge. »Reden Sie. Wieso ein Kind? Wieso Sara?«
    De Santis sprach noch immer nicht. Lunau drückteden Lauf noch fester in die Augenhöhle und suchte mit dem Daumen nach dem Sicherungshebel. De Santis ruderte mit den Armen und versuchte, an seine Waffe zu kommen. »Nur zu!«, schrie Lunau. »Sobald du sie in der Hand hast, drücke ich ab.«
    »Gennaro«, schrie De Santis, »was soll der Scheiß?«
    Es kam keine Antwort.
    »Verdammt, wo steckst du denn?«
    Lunau musste gegen die Versuchung ankämpfen, sich umzusehen. Wo war Tarantella? Und wieso wusste De Santis, dass Gennaro Tarantella auf dem Boot war?
    »Gennaro!«, schrie De Santis wieder.
    Da hörte Lunau Schritte. Tarantella kauerte sich neben ihn und sagte: »Was ist, Totò?«
    »Hol ihn von mir runter.«
    Tarantella grinste. »Na, wie ist das zu sterben?«
    »Wovon redest du?«
    Tarantella umklammerte Lunaus Hand und entsicherte die Waffe. »Mein Sohn wäre heute sechsundzwanzig Jahre alt.«
    De Santis riss das eine Auge auf. Derselbe Ausdruck wie bei Michael. Erstarrung, Panik. »Ich wollte das nicht.«
    »Du hast ihn von der Brücke geworfen.«
    »Ich musste es tun.«
    Tarantella umschloss wieder Lunaus Hände und schob den Finger an den Abzug.
    »Nein, ich flehe dich an«, schrie De Santis. »Es war nicht meine Schuld. Du hättest …«
    De Santis’ Kopf hing über Bord. Die Wellen benetzten sein Haar, schwappten über sein Gesicht und seinen Hals. »Ich war immer loyal. All die Jahre habe ich diese verfluchte Po-Ebene ausgehalten, diesen verschissenen Nebel, die Stechmücken, den grauen Himmel, die kotzgelben Birnen, diesen ganzen Kürbisscheiß, den sie hier fressen. Du durftest den kultivierten Lebemann spielen, während ich die Drecksarbeit erledigen musste.« Er fing zu schreien an: »Lunau, das können Sie nicht zulassen …«
    Der Schuss zerriss die Stille, und er riss ein 6,75 Millimeter großes Loch in De Santis’ Auge. Am Hinterkopf war das Loch vier Mal größer. Tarantella stand auf und gab der Leiche einen Stoß mit dem Fuß, womit er sie über Bord beförderte. Dann nahm er Lunau die Waffe aus der Hand und warf sie hinterher.
53
    Arturo Boccafogli lag in seinem Bett und starrte an die Decke. Er konnte nicht schlafen, die Angst hielt ihn wach. Die Angst ließ ihn Geräusche hören, die gar nicht da waren. Nur seinen Hund, der neben dem Bett schlafen sollte, hörte er nicht. Er streckte die Hand aus und ließ sie herabsinken, bis sie das zottige Fell spürte. Er zog daran, der Hund rührte sich nicht. Eine Nacht noch galt es zu überstehen. Aber dann? Würde man den Polizisten sofort einsperren? Und seine Kollegen? Niemals würde er, Arturo, vor deren Vergeltung sichersein. Wie konnte ich mich nur auf dieses Versprechen einlassen?, fragte er sich. Wieso habe ich mich von diesem Mädchen überreden lassen, vor dem Richter auszusagen. Ich muss verrückt geworden sein.
    Er stellte sich den Gerichtssaal vor, die zahllosen Augen und Kameras, die auf ihn gerichtet waren. Er sprach leise die Sätze, die er sagen wollte. Mit denen er beschreiben wollte, wie der Junge am Boden lag, um Hilfe flehte, während der Polizist über ihm kauerte und wieder und wieder den Schlagstock herabsausen ließ. Aber war es überhaupt so gewesen? Nach über vier Jahren begannen die Bilder zu verblassen, und es entstanden neue, in denen die Streifenwagen kreuz und quer herumfuhren, in denen der Junge gleichmütig aufsprang und sich in den Fond eines Autos setzte, mit den Beamten plaudernd. War Marco Clerici wirklich vor Arturos Augen gestorben? An den Schlägen, die Arturo beobachtet hatte? Sollte er jetzt wegen so unscharfer Erinnerungen sein eigenes Leben aufs Spiel setzen?
    Er streichelte wieder über das Fell des Hundes, kraulte ihn hinter den Ohren und schreckte auf. Wieso bewegte er sich nicht? Er schaltete das Licht ein, und da sah er die sanfte Bewegung, mit der die Rippen sich hoben und senkten. Der Hund war auch alt geworden. Er hörte schlecht und sah schlecht. Wie sollte er sein Herrchen beschützen? Und wie sollte das dünne Mädchen ihn beschützen, das in seinem Wohnzimmer lag? Was wollte es alleine ausrichten gegen die drei, die eines Abends an seiner Wohnungstür geklingelt

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