Der Tote im Eiskeller
Und: Er war tot.»
«Ja», sagte Rosina. Sie sah Wagners grimmiges Gesicht, seine auf die Oberschenkel gestemmten Fäuste, die hochgezogenen Schultern in dem etwas zu engen, ärmlichen Rock und schämte sich. Ein wenig nur, aber immerhin. Sie wusste, wie leicht er aus der Fasson zu bringen war, sie wusste auch, welchen Verdruss es ihm bereiten musste, dass diese Überfälle immer noch nicht aufgeklärt waren. Zweifellos hatte der Weddesenator ihm längst eine unwirschePredigt gehalten. So schluckte sie die Bemerkung, der Mann im Fleet sei nur knapp und durch einen glücklichen Zufall vor dem Tod bewahrt worden, hinunter.
«Ja, Wagner, das ist etwas anderes», gestand sie zu. «Verzeiht Ihr mir meine Besserwisserei? Soll ich versprechen, mich nie wieder in Eure Nachforschungen einzumischen?»
Wagner löste mit einem Schnaufer seine Fäuste, seine Lippen verzogen sich, ob er wollte oder nicht, zu einem Lächeln.
«Warum solltet Ihr etwas versprechen, das Ihr nicht halten könnt? Nein, das wäre mir nicht recht, gar nicht recht. Ich meine so ein Versprechen. Denn tatsächlich», sein Lächeln wurde breiter und verschmitzt, «tatsächlich, es wird Euch nicht überraschen, bin ich aus ebendiesem Grund hier, damit Ihr Euch, nun ja, ein wenig einmischt. Ich frage und erfahre viel, ja, aber der Wedde erzählen die Menschen nicht alles. Da das Theater so nah bei den Wällen steht, so nah bei den Soldaten …»
Wagner verstand überhaupt nicht, warum die beiden Frauen auf der Bank vor ihm in lautes Lachen ausbrachen.
Als er sich verabschiedete, war er nicht zufrieden. Rosina würde die Ohren offen halten, das tat sie immer, und er hoffte, sie werde es ausnahmsweise dabei belassen. Aber er hatte auch gehofft, Madame Herrmanns werde ihm einiges über Viktor Malthus anvertrauen, etwas über dessen Verhältnisse, vor allem über seine wahre Natur und Sinnesart, wie er es von dessen Familie oder den anderen Offizieren nie erfahren würde. Leider zeigte sich Madame Herrmanns bei aller Freundlichkeit zugeknöpft. Sie hatte ihn an ihren Gatten verwiesen, der gebe gewiss gern und jederzeit Auskunft. Das war der Moment, in dem er sein großes blaues Tuch aus der Tasche zog, nicht weil er es gebraucht hätte, später erinnerte er sich erstaunt, dass ihn dieGegenwart von Madame Herrmanns zum ersten Mal nicht zum Schwitzen gebracht hatte. Er zog es aus Tasche, weil er das oft tat, so wie andere sich über das Kinn streichen oder am Ohrläppchen zupfen, ohne es zu merken. Als er sich mit dem Tuch über die doch ganz trockene Stirn fuhr, beugte Madame Herrmanns sich hinunter und hob etwas auf, das mit dem Tuch aus der Tasche gerutscht war.
«Wie reizend», sagte sie, legte die elfenbeinerne Rosenblüte auf die flache Hand und zeigte sie Rosina. «Ein Geschenk für Madame Wagner? Sie wird entzückt sein. Es ist besonders schön geschnitzt.»
Wagner widerstand der Versuchung, zu erklären, dass die Rose ganz und gar kein Geschenk für seine Frau war, sondern ein Fund aus dem Eiskeller. Der einzige Fund, darüber hinaus hatte seine Suche nichts ergeben, nicht das kleinste Fädchen.
«Schön geschnitzt, ja», bestätigte er und betrachtete seine Schuhspitzen, «Elfenbein ist delikat, nicht wahr?»
«Oh», Anne nahm die Rose zwischen die Fingerspitzen und hielt sie ins Licht. «Ich hoffe», sagte sie, noch zögernd, ob sie ihn mit der Wahrheit enttäuschen sollte, «ich hoffe, Ihr habt nicht zu viel dafür bezahlt, sonst solltet Ihr einen Teil Eures Geldes zurückverlangen. Es ist etwas dunkler und gröber als Elfenbein, das ist Fischbein, sicher von einem Wal oder einem Walrosszahn. Das fällt mir schwer zu unterscheiden.»
Ein Blick in Wagners Gesicht ließ sie ihre Worte bereuen. Sie wusste nicht, dass ihre Auskunft Wagner einzig deshalb enttäuschte, weil das kostbare Elfenbein viel seltener war als Knochen und Zähne von Bewohnern der Meere. So sank seine Hoffnung, den Besitzer des kleinen Schmuckstückes zu finden. Eine Hoffnung, die ohnedies gering war. Die Rose hatte im Stroh neben den Füßen des Toten gelegen,womöglich hatte sie ihm gehört. Blieb nur die Frage, warum sie dann nicht mehr in seiner Tasche gesteckt, sondern auf der Erde gelegen hatte.
«Trotzdem ist es ein besonderes Stück», versuchte Anne ihn zu trösten. «Seht.» Sie legte die Rose mit der geschnitzten Seite nach unten auf seine Hand. «Seht Ihr die fein eingeritzten Linien auf der Rückseite? Die hat jemand gemacht, der sein Handwerk versteht, er hat
Weitere Kostenlose Bücher