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Der Tote im Schnee

Der Tote im Schnee

Titel: Der Tote im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Eriksson
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Straße. Er blieb unter einer Straßenlaterne stehen und begutachtete seine Kamera. Blut lief ihm über die Wange, aber er schien sich dessen nicht bewußt zu sein. Haver ging zu ihm.
    »Was für ein Knall«, meinte Ryde, »aber die Kamera hat nichts abbekommen.«
    »Du blutest«, sagte Haver und machte Anstalten, sich die Wunde auf der Wange genauer anzusehen.
    »Ich bin gestolpert«, erwiderte Ryde kurz angebunden.
    »Jemand ist durch die Lücke im Zaun rein und wieder rausgegangen, soviel steht fest. Ob es einer oder mehrere waren, ist schwer zu sagen, aber offensichtlich hat man sich bemüht, die Spuren zu verwischen. Das sieht definitiv verdächtig aus.«
    »Irgendwelche Fußabdrücke?«
    Ryde schüttelte den Kopf.
    »Es sieht ganz so aus, als hätte jemand ein Brett über den Schnee gezogen. Ich werde mir das noch genauer ansehen müssen. Denkst du, es wird noch mal knallen?«
    Haver zuckte mit den Schultern. Trotz der Dramatik war er sehr ruhig. Er wußte, daß die Angst und der Schock sich erst später einstellen würden.
     
    Als Ann Lindell in die Küche kam, erkannte sie sofort, daß der Schinken nicht mehr zu retten war. Sie schaltete die Herdplatte aus, zog den Topf herunter und widerstand dem Impuls, den Fleischklumpen in den Müll zu werfen. Er war immerhin eßbar. Vielleicht konnte man noch ein Frikassee daraus machen.
    Sie seufzte, setzte sich an den Küchentisch, sah auf die Uhr und dachte an Justus. Wo war er nur? Berit hatte alle möglichen Personen angerufen, sogar Lennart, aber dort war niemand an den Apparat gegangen. Berit wußte, daß er auf dem Display ihre Nummer sehen konnte, und vielleicht wollte er einfach nicht mit ihr reden. Falls Justus wirklich bei ihm war, wußte Lennart, daß sie sich Sorgen machte und würde sicher nichts dagegen haben, sie etwas zappeln zu lassen.
    Ann stand auf, schaute wieder auf die Uhr und ging zu Erik. Er hatte etwas zu essen bekommen und schlief in seinem Bettchen. Es war still in der Wohnung, zu still, als daß sie sich hätte wohl fühlen können. Die Sorge um den Jungen ließ sie ans Fenster treten und in die Dunkelheit des späten Nachmittags hinausspähen. Ein Auto fuhr auf den Parkplatz, und ein Mann stieg aus, holte Lebensmitteltüten aus dem Kofferraum und verschwand anschließend im Eingang von Hausnummer 8.
    Sie dachte an Edvard, daß er angerufen und ihr frohe Weihnachten gewünscht hatte. Es war ihr erstes Gespräch gewesen, seit sie sich im Krankenhaus von Östhammar begegnet waren. Sie hatte rechts ranfahren müssen, obwohl das haltende Auto ein Verkehrshindernis bildete, aber sie konnte nicht mit Edvard sprechen und gleichzeitig sicher fahren. Was hatte er gesagt? Sie erinnerte sich nicht mehr. Seine Worte waren wie in einen Nebel gehüllt, so als hätte ihre Unterhaltung schon vor Jahrzehnten stattgefunden. Sie hatte sich erkundigt, wie es ihm ging und was seine beiden Söhne machten. Hatte er nach Erik gefragt? Sie wußte es nicht mehr, aber sie hatte aus Edvards Worten zumindest die unausgesprochene Frage herausgehört, wie es ihr und ihrem Sohn ging.
    Sie hatten das Gespräch bereits nach wenigen Minuten beendet, weil die hupenden Autos sie streßten. Seine Stimme hatte wie immer geklungen, ein bißchen nachdenklich und herzlich, so wie damals, als sie sich sehr gern hatten.
    Bald würden ihre Eltern eintreffen, und Lindell überlegte, ob sie schnell zum Supermarkt laufen sollte, um einen neuen Schinken zu besorgen, aber plötzlich spielte es keine Rolle mehr, was sie dachten. Ihre Eltern würden eben trockenen Schinken essen müssen.
    Kurz vor vier klingelte es.
    »Da sind wir«, sagte ihre Mutter ungewöhnlich fröhlich, als Ann die Tür öffnete.
    Sie selber freute sich auch mehr, als sie gedacht hatte, ihre Eltern zu sehen. Ihre Mutter trug zwei große Einkaufstüten mit Weihnachtsgeschenken, ihr Vater die Tüten mit den Eßsachen.
    »Im Auto ist noch mehr«, meinte ihre Mutter, als sie Anns Blick bemerkte. »Schläft der Kleine?«
    Sie hängten ihre Mäntel auf und begannen sich umzusehen. Ann war nicht wohl in ihrer Haut. Erst jetzt erkannte sie, wie sehr sie in den vier Tagen, die ihre Eltern bleiben wollten, festsaß. Sie würde sich ihnen nicht entziehen können. Lindell bekam ein schlechtes Gewissen. Sie waren trotz allem ihre Eltern, die sich seit Monaten auf den Besuch in Uppsala gefreut hatten. Als erstes gingen sie zu Erik. Beim Anblick des Kleinen in seinem Bettchen stiegen Anns Mutter Tränen der Rührung in die

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