Der Tote in der Wäschetruhe
dritte von neun Kindern. Vater Alfred arbeitet als Maschinist in der Brikettfabrik. Mutter Erna ist Hausfrau und versucht, die Großfamilie in Schwung zu halten. Weil das Geld trotz staatlicher Unterstützung stets knapp ist, geht Alfred bei Bedarf im zweiten Arbeitsverhältnis etwas dazuverdienen. Viel daheim ist er nicht, schließlich lässt er sich das Zechen mit Kollegen in der Kneipe nicht nehmen. Alkohol fließt dann reichlich. Ist Alfred Brechner mal daheim, geht es streng zu. Seine Erziehungsmethoden sind alles andere als feinfühlig. Schnell setzt es Prügel, wenn die Kinder etwas ausgefressen haben. Oder es gibt Fernsehverbot und Stubenarrest. Mit Ehefrau Erna herrscht ebenfalls nicht pure Harmonie. Die Eheleute streiten sich wegen der Erziehung ihrer Sprösslinge und werfen sich trotz der offensichtlich florierenden sexuellen Zweisamkeit gegenseitig Untreue in fremden Federn vor.
In diesem wenig gedeihlichen Umfeld fühlen sich die Schwestern nicht wohl. Isolde, die Ältere, sowieso nicht. Erst seit kurzer Zeit lebt sie wieder in der Großfamilie. Vom zweiten bis zum 15. Lebensjahr lebte sie bei der Großmutter. Oma war und ist ihre wichtigste Bezugsperson. In der Sonderschule für lernschwache Kinder, im Volksmund abschätzig Hilfsschule genannt, hat Isolde die achte Klasse geschafft. Als sie eine Teillehre als Facharbeiterin für Anlagen und Gerätebau beim Braunkohlenkombinat Lauchhammer aufnimmt, muss sich die junge Frau in die Familie eingliedern, die sie wenig kennt und zu der sie kaum emotionale Beziehungen hat.
Gerda hängt sehr an ihren jüngeren Geschwistern. Zur älteren Schwester fühlt sie sich hingezogen, weil die ihr regelmäßig Geschenke macht. Schließlich hat Isolde ihre Lehre abgeschlossen und verdient als Brikettpresserin mit 800 Mark netto für DDR-Verhältnisse kein schlechtes Geld. 100 Mark muss sie daheim als Kostgeld in die Familienkasse geben, den Rest hat sie für sich. Gerda, die in der normalen Oberschule nur die siebte Klasse geschafft hat, geht es als Lehrling für Wirtschaftspflege im Krankenhaus Lauchhammer finanziell viel schlechter.
Das ist der Nährboden für die Bindung, die sich im November 1976 im »Casino« in Lauchhammer anbahnt und die viele Monate mehr oder weniger intensiv von dem ungleichen Trio gepflegt wird.
Kurt Merker erzählt den Mädchen, die sich an die früheren losen Beziehungen der Familien Merker und Brechner nicht erinnern, vom Tod seiner Frau; der Einsamkeit bei sich daheim, dass ihm keiner das Mittagessen kocht, abwäscht und den Haushalt führt. Die drei trinken gemeinsam Bier. Kurt kippt ein paar Schnäpse, Isolde und Gerda nehmen Likör. Kurt bezahlt die
Zeche. Das gefällt den Mädchen. Trotz des gemütlichen Abends verlieren sich die neuen Bekannten zunächst aus den Augen.
Einen Monat später, im Dezember, treffen sie sich zufällig wieder im »Casino«. Wieder trinkt das ungleiche Trio gemeinsam Alkohol, und Kurt Merker bezahlt wie gehabt. Schnell kommt das Gespräch erneut auf die fehlende Frau im Haus und auf den verlotterten Haushalt. »Wir können dir ja helfen, für dich kochen und sauber machen«, bieten die Mädchen an. Zumindest für Isolde ist diese Hilfsbereitschaft ungewöhnlich. Daheim drückt sie sich vor solchen Handgriffen, wo sie kann, lässt lieber ein Mitbringsel springen, als selbst zuzupacken.
Merker nimmt das Angebot nur allzu gern an. Isolde und Gerda sind fortan, so oft es Schule und Arbeit unter der Woche gestatten und fast regelmäßig am Wochenende, beim »Alten«, wie sie ihn unter sich nennen. Gegen 12 Uhr tauchen sie in der Regel auf, kochen auf dem Herd das Mittagessen, das sie gemeinsam einnehmen, trinken zusammen Tee. Kurt Merker macht auf dem Sofa ein Nickerchen, während die Mädchen das Geschirr spülen, aufräumen, den Fußboden fegen, das Bett aufschütteln. Das Leben ist für den Rentner wieder bequem geworden. Isolde und Gerda können in Ruhe vor dem Fernseher hocken, ohne dass Eltern da sind, die nur nörgeln.
So geht die Zeit ins Land. Mal kommen die Mädchen im Doppelpack zu Merker, öfter taucht Isolde allein auf. Regelmäßig besuchen sie das »Casino«. Dort hat Kurt stets die Spendierhosen für seine jungen Haushaltshilfen an. Mit Isolde fährt er nach Senftenberg zum Schaufensterbummel. Er kauft ihr Pullover, Hosen, Strumpfhosen und schenkt ihr zum 18. Geburtstag eine Armbanduhr. Kurt Merker und Isolde Brechner geben sich als Liebespaar, und sie sind es zumindest in sexueller Hinsicht
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