Der tote Raumfahrer
seinem Stulpenhandschuh den Fels an der einen Seite der Öffnung zu berühren. Die Kerbmarkierungen waren offensichtlich von einem Bohrer oder etwas in der Art geschaffen worden.
»Nun gut, das ist sie«, ließ sich die Stimme von Alberts vernehmen, der ein paar Schritte hinter ihm stand. »Charlies Höhle haben wir sie genannt. Sie sieht mehr oder weniger genauso aus wie damals, als Charlie und sein Kumpel sie zum erstenmal erblickt haben. Fast so, als würde man in die geweihten Kammern einer Pyramide eindringen, nicht wahr?«
»So könnte man meinen.« Hunt beugte sich nieder, um ins Innere zu blicken. Als er zögerte, um nach seinem Scheinwerfer am Gürtel zu tasten, nahm ihm die plötzliche Dunkelheit vorübergehend die Orientierung.
Die Gesteinslawine, die den Körper ursprünglich bedeckt hatte, war weggeräumt worden, und das Innere war geräumiger, als er erwartet hatte. Seltsame Empfindungen wallten in ihm empor, als er auf die Stelle blickte, wo – Jahrtausende, bevor das erste Blatt der Geschichte geschrieben worden war – eine zusammengekauerte Gestalt das letzte Blatt eines Berichts vollgekritzelt hatte, den Hunt erst vor kurzem in einem Büro in Houston gelesen hatte, dreihundertachtzigtausend Kilometer von hier entfernt. Er dachte an die Zeiten, die seit jenen Ereignissen vergangen waren – an die Reiche, die entstanden und wieder untergegangen waren, die zu Staub zerfallenen Städte, die Leben, die kurz aufgeschäumt und dann von der Vergangenheit verschluckt worden waren. Und während all dieser Zeit hatte das Geheimnis dieser Felsen der Enträtselung geharrt. Viele Minuten verstrichen, bevor Hunt in die Wirklichkeit zurückkehrte und sich im grellen Sonnenlicht aufrichtete.
Erneut blickte er in Richtung des Bergrückens hinauf. Irgendein quälender Gedanke hämmerte an die Tür zu den bewußten Regionen seines Hirns, als ob irgend etwas aus dem dahinter liegenden Schattenreich des Unbewußten beharrlich kreischend um Aufmerksamkeit buhlte. Dann war das Pochen wieder verschwunden.
Er hakte den Scheinwerfer in die Gürtelhalterung zurück und trat an die Seite Alberts', der an der gegenüberliegenden Wand einige Gesteinsformationen studierte.
20
Die riesigen Schiffe, die im Zuge des fünften bemannten Unternehmens zum Jupiter fliegen würden, waren in über einem Jahr in der Mondumlaufbahn gebaut worden. Außer dem Leitschiff waren hoch über der Mondoberfläche allmählich sechs Frachter entstanden, von denen jeder in der Lage war, dreißigtausend Tonnen an Versorgungs- und Ausrüstungsgütern zu transportieren. Während der letzten zwei Monate vor dem geplanten Starttermin war das wie Weihnachtsbaumlametta wirkende dahintreibende Durcheinander aus Maschinen, Werkzeugen, Containern, Fahrzeugen, Tanks, Kisten, Zylindern und den tausend anderen Posten zusammengestellter Gerätschaften langsam im Innern der Schiffe verschwunden. Die Wega-Fähren, Fernraumkreuzer und anderen Schiffe, die ebenfalls für dieses Projekt vorgesehen waren, wurden im Verlaufe mehrerer Wochen von ihren jeweiligen Mutterschiffen aufgenommen. Während der letzten Wochen lösten sich die Frachter in regelmäßigen Abständen aus der Mondumlaufbahn und setzten Kurs auf Jupiter. Als die Passagiere und letzten Besatzungsmitglieder von der Mondoberfläche hinaufgebracht wurden, war nur noch das Leitschiff übrig; einsam und verlassen schwebte es in der Leere. Mit dem Näherrücken der Stunde Null zog sich die Schar von Wartungsschiffen und Begleitsatelliten zurück. Ein paar Kilometer entfernt verdichtete sich ein Pulk aus Geleitschiffen, und ihre Kameras übertrugen die Bilder via Luna in das Welt-Nachrichtennetz der Erde.
Als die letzten Minuten heranrückten, zeigten Millionen Bildschirme einen eindrucksvollen, fast zwei Kilometer langen Schatten, der sich fast unmerklich vor dem Sternenhintergrund bewegte. Die Stille dieses Schauspiels schien irgendwie die unvorstellbare Kraft anzukündigen, die entfesselt werden sollte. Genau nach Zeitplan beendeten die Flugkontrollcomputer die letzte Endcountdown-Überprüfung, erhielten vom Hauptprozessor der Bodenkontrolle eine ›Grün‹-Bestätigung und aktivierten die thermonuklearen Haupttriebwerke. Sie flammten in einem Blitz auf, der selbst von der Erde aus zu sehen war.
Das Jupiter-Fünf -Unternehmen hatte begonnen.
In den nächsten fünfzehn Minuten gewann das Schiff an Geschwindigkeit und schraubte sich immer höher hinauf. Dann schüttelte es mit müheloser
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