Der tote Raumfahrer
minervianischen, mikrochemischen Einwirkungspotentials darstellte und auf den Daten basierte, die infolge der Untersuchungen der von Minerva stammenden Fischart gewonnen worden waren. Drei Monate benötigten sie, um es zu perfektionieren. Dann fügten sie dem Modell eine Reihe von mathematischen Gleichungen hinzu, die die Auswirkungen verschiedener chemischer Wirkstoffe auf die Umwelt simulierten. Als Danchekker die Ergebnisse auf dem Bildschirm einer der Gerätekonsolen betrachtete, war seine Folgerung vollkommen sicher: »Jede luftatmende Lebensform, die von demselben primitiven Vorfahren wie dieser Fisch abstammt und die gleiche elementare Mikrochemie geerbt hat, würde extrem empfindlich auf eine Gruppe von Giften reagieren, die Kohlendioxyd enthält – weit empfindlicher als die Mehrzahl der terrestoiden Arten.«
Auf einmal paßte alles zusammen. Vor fünfundzwanzig Millionen Jahren war die Kohlendioxyd-Konzentration in der Atmosphäre Minervas offenbar jäh angestiegen – vielleicht durch einen natürlichen Vorgang, der das Gas aus den chemischen Verbindungen im Gestein gelöst hatte, vielleicht auch als Folge irgendeiner Aktivität der Ganymeder. Dies könnte auch erklären, warum die Ganymeder all die fremden Lebensformen importierten. Vielleicht war ihr Hauptziel die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts, indem sie den Planeten mit kohlendioxydabsorbierenden und sauerstoffproduzierenden irdischen Grünpflanzen bedeckten. Die Tiere wurden nur deshalb mit einbezogen, um ein geschlossenes Ökosystem zu schaffen, in dem die Pflanzen überleben konnten. Der Versuch schlug fehl. Das einheimische Leben unterlag. Die resistenteren Einwanderer entwickelten sich und breiteten sich über eine ganz neue Welt aus, die von fremder Konkurrenz frei war. Niemand konnte mit Bestimmtheit wissen, ob es sich in dieser Weise auf Minerva zugetragen hatte. Wahrscheinlich konnte das nie jemand.
Und niemand wußte, was aus den Ganymedern geworden war. Vielleicht waren sie zusammen mit ihren Vettern umgekommen. Vielleicht hatten sie Minerva den neuen Bewohnern überlassen, als sich ihre Bemühungen als vergeblich herausstellten, und das Sonnensystem auf der Suche nach einem neuen Zuhause verlassen. Hunt hoffte das. Aus irgendeinem seltsamen Grund hatte er eine unerklärliche Zuneigung für diese geheimnisvolle Rasse entwickelt. In einem der lunarischen Texte war er auf einen Vers gestoßen, der mit den Worten begann: »Weit entfernt, jenseits der Sterne, wo die Riesen von einst heute leben ...« Hunt hoffte, dies sei wahr.
Und so war ganz plötzlich zumindest ein Kapitel der Frühgeschichte Minervas geklärt worden. Nun deutete alles darauf hin, daß sich die Lunarier und ihre Zivilisation auf Minerva entwickelt hatten, nicht auf der Erde. Es war klargeworden, warum Schorns früherer Versuch, die Länge des Tages von Hunts Kalender durch die Berechnung von Charlies natürlichen Schlaf- und Wachperioden zu ermitteln, fehlgeschlagen war. Die von der Erde stammenden Urahnen der Lunarier hatten einen tief in ihnen verwurzelten metabolischen Rhythmus besessen, der sich auf einen Vierundzwanzig-Stunden-Tag bezog. Während der folgenden fünfundzwanzig Millionen Jahre paßten sich die biologischen Prozesse einiger ihrer mehr flexibleren Nachfahren erfolgreich dem Fünfunddreißig-Stunden-Tag Minervas an, während andere sich nur teilweise veränderten. Zur Zeit Charlies gingen die physiologischen Uhren der Lunarier hoffnungslos falsch. Kein Wunder, daß Schorns Ergebnisse keinen Sinn ergaben.
Aber die verwirrenden Zahlenangaben in Charlies Notizbuch warteten immer noch auf eine Erklärung.
In Houston nahm Caldwell Hunts und Danchekkers gemeinsamen Bericht mit tiefer Zufriedenheit zur Kenntnis. Er wußte seit langem, daß, um Resultate zu erzielen, die Fähigkeiten zweier Wissenschaftler miteinander kombiniert und auf ein bestimmtes Problem fokussiert werden mußten. Sie durften nicht fruchtlos in den Spannungen persönlicher Unverträglichkeit verschwendet werden. Wie konnte er eine Situation schaffen, in der die Gemeinsamkeit ihre Differenzen überwogen? Nun, was hatten sie gemeinsam? Um mit dem Einfachsten und Offensichtlichsten zu beginnen – sie waren beide menschliche Wesen vom Planeten Erde. Wo also würde diese elementare Tatsache alles andere in den Schatten stellen? Wo sonst als in den öden Wüsten des Mondes? Oder Hunderte von Millionen Kilometer entfernt in der Leere des Alls? Und jetzt schien alles besser geklappt zu
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