Der tote Raumfahrer
Rest bald verblassen, um sich ihnen hinzuzugesellen? Und welche neuen Gestalten würden heraustreten aus den unbekannten Welten, die hinter den Schleiern der Zukunft verborgen lagen?
Mit gelinder Überraschung stellte er fest, daß die Nebelschwaden um ihn herum wieder heller wurden. Er konnte auch plötzlich weiter sehen. Über eine gewaltige Eisscholle, die nun eben und frei von Felsen war, kletterte er hinauf. Das Licht glühte schaurig und drang zu beiden Seiten durch die Dunstwolken, als leuchte der Nebel selbst. Er kletterte höher. Mit jedem Schritt erweiterte sich sein Sichthorizont. Das Leuchten sickerte aus dem ihn umgebenden Dunst und vereinigte sich in einem einzelnen Fleck, der von Sekunde zu Sekunde heller über seinem Kopf erstrahlte. Und dann sah er über die Nebelbank hinweg. Es war nur eine Wolke, die in der Vertiefung des ausgedehnten Beckens gefangen war, in der man den Stützpunkt errichtet hatte. Dieser Standort war natürlich deshalb gewählt worden, um die Länge des Schachtes zu verkürzen, der zur Erreichung des ganymedischen Schiffes erforderlich war. Der Hang über Hunt endete knapp fünfzehn Meter voraus in einem langen, abgerundeten Kamm. Er änderte die Richtung ein wenig und nahm die steilere Flanke, die direkt zum Gipfel des Grates führte. Die letzten zaghaften Nebelschleier fielen zurück.
Hier oben war die Nacht kristallklar. Er stand auf einem Eisstrand, der sich zu seinen Füßen einem See aus Watte entgegenneigte. Am gegenüberliegenden Ufer des Sees erhoben sich die Gipfel der Felstürme und Eisklippen, die sich jenseits der Basis befanden. Kilometerweit um ihn herum schwammen gespenstische weiße Berge aus ganymedischem Eis auf einem Wolkenozean, der in die Dunkelheit der Nacht leuchtete.
Aber da war keine Sonne.
Hunt hob den Blick und schnappte unwillkürlich nach Luft. Über ihm schwebte die volle Scheibe Jupiters, fünfmal so groß wie die des Mondes von der Erde aus gesehen. Kein Foto, das er jemals gesehen hatte, noch irgendeine Wiedergabeprojektion auf einem Bildschirm ließ sich mit der Pracht dieses Anblicks vergleichen. Jupiter füllte den Himmel mit seinem Glanz. In den irisierenden Lichtstreifen waren alle Regenbogenfarben miteinander verflochten. Schicht um Schicht türmten sie sich vom Äquator aus auf. Sie verblaßten, als sie den Rand erreichten, verschmolzen zu einem rosafarbenen Ring, der den ganzen Planeten umgab. Aus Rosa wurde Violett und schließlich Purpur, das in einer deutlichen, scharf umrissenen Linie endete, die einen gewaltigen Kreis am Himmel beschrieb. Umwandelbar, unveränderlich, ewig ... der mächtigste der Götter. Und der winzige, schwache, kurzlebige Mensch war auf einer fast achthundert Millionen Kilometer langen Pilgerfahrt hierher gekrochen, um ihm zu huldigen.
Vielleicht vergingen nur Sekunden, vielleicht Stunden. Hunt konnte es nicht sagen. Den Bruchteil einer Ewigkeit lang stand er bewegungslos da, ein verlorener Fleck unter den stillen Türmen aus Eis und Fels. Auch Charlie hatte auf der Oberfläche einer öden Wüste gestanden und zu einer Welt hinaufgestarrt, die von Licht und Farbe eingehüllt war – aber die Farben waren die des Todes gewesen.
In jenem Augenblick kamen Hunt die Szenen, die Charlie gesehen hatte, eindringlicher zu Bewußtsein als jemals zuvor. Er sah Städte, die von fünfzehn Kilometer durchmessenden Glutballen verzehrt wurden; er sah klaffende Schluchten, verbrannte und geschwärzte Asche, wo einst Ozeane gewesen waren, Feuerseen, wo sich Berge befunden hatten. Er sah Kontinente platzen und auseinanderbrechen, überschwemmt von Höllenfluten aus weißer Hitze, die von unten herauf explodierte. So deutlich, als geschähe es wirklich, sah er den riesigen Globus über ihm anschwellen und auseinanderbersten, bizarr anzusehen in der trügerischen Langsamkeit, in der gewaltige Ereignisse aus großer Ferne betrachtet stattfinden. Tag um Tag würde sich der Glutball weiter in den Raum ausdehnen, mit unersättlicher Gefräßigkeit einen Mond nach dem anderen verzehren, bis seine Kraft erschöpft war. Und dann ...
Der Schock warf Hunt mit einem Schlag in die Wirklichkeit zurück.
Plötzlich war die Antwort da, nach der er gesucht hatte. Sie war aus dem Nirgendwo gekommen. Er versuchte, sie bis zu ihren Wurzeln zurückzuverfolgen, indem er seine Gedanken kontrollierte – aber da war nichts. Die Wege, die von den unteren Bereichen seines Bewußtseins hinaufführten, hatten sich ihm für eine Sekunde eröffnet. Aber
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