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Der Tote trägt Hut

Der Tote trägt Hut

Titel: Der Tote trägt Hut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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die Nudelfrau, über den Sand in unsere Richtung stapfte. Sie trug die leblose John vor sich her. Das Tier hatte Schaum vorm Maul, als wäre es beim Zähneputzen gestört worden, was natürlich nicht der Fall war. Ba Nok überreichte mir den Kadaver, weil Arny nicht vorgetreten war, um ihn ihr abzunehmen. Sie erzählte, sie habe den Hund am Morgen vor ihrem Nudelstand gefunden und ihn wiedererkannt, weil sie unsere Mutter schon so oft mit ihm gesehen hatte. Sie dachte, wir wollten vielleicht …
    Ich fragte sie, ob sie wüsste, wer unseren Hund vergiftet haben könnte, was sie verdächtig schnell verneinte. Ich wusste, dass sie log. Ich bedankte mich bei ihr und wandte mich dem Laden zu. Mair stand davor, mit verschränkten Armen und ihrem Titanic -Lächeln im Gesicht.
    »Mair, ich …«
    Sie lachte ein wenig und kam, um mir den Kadaver abzunehmen.
    »Es gibt diverse Möglichkeiten, wie ein Hund hier unten seinem Schöpfer begegnen könnte«, sagte sie und wischte den Schaum mit der Hand ab. »Von einem Skorpion gebissen, von einer Kokosnuss erschlagen, ertrunken, ganz zu schweigen von allen möglichen Krankheiten und Insektenplagen.« Ein Mord kam auf ihrer Liste nicht vor. »Wie schön, dass sie noch ein glückliches, halbes Jahr hatte. Wenn ihr uns entschuldigen würdet …«
    Hoheitsvoll trug sie John in den hinteren Teil des Ladens, und wir beschlossen, ihr nicht zu folgen. Ich drückte Arnys große Hand und ließ ihn mit seinen feuchten Augen dort allein. Wir hatten noch nicht mal gefrühstückt, aber mir schien, dass keiner von uns an diesem traurigen Morgen Hunger haben würde, also machte ich allein einen Spaziergang. Fast war ich schon beim Palmenwäldchen am anderen Ende der Bucht, als mich plötzlich eine unermessliche Trauer überkam. Zwar saß ich auf einem angespülten, alten Bambusfloß, doch fühlte ich mich, als stürze ich ab, als stecke ich im Maul eines Krokodils, das mich wütend auf die Steine schlug. Ich konnte es nicht fassen. Meine Tränen wollten kein Ende nehmen. Wollten sie einfach nicht. Ich war direkt froh, dass ich an diesem trostlosen Ort saß, wo mir niemand auf die Schulter klopfte und erklärte, es würde alles wieder gut werden. Ich hatte oft genug geweint, seit ich meinem 21. Jahrhundert entrissen worden war, doch das viele Wasser hatte mir selbst gegolten. Trauer um mich. Mitleid mit mir. Ich Ärmste. Diesmal jedoch weinte ich um jemand anderen – etwas anderes – und schämte mich für die vielen selbstsüchtigen Tränen, die ich vergeudet hatte. Ich blickte auf, und ein paar Meter vor mir saß Gogo. Zeit für ihren Spaziergang. Das Leben ging weiter.
    Als ich auf meinem Fahrrad beim Feuang-Fa-Tempel ankam, erwartete ich eigentlich, dass der Wachmann hinter der Regentonne hervorspringen würde, doch da war niemand. Ich musste das Rad den steilen Hang hinaufschieben, denn fit war ich zuletzt 1997 gewesen: drei kurze Monate Volleyballtraining, die ich schon bald bereute. Ich nahm den Pfad nach links, der zum Betonweg führte, und mir fiel auf, dass große Teile der Bougainvilleen-Büsche offenbar in einem Akt übereifriger Gartenarbeit herausgerissen worden waren. Ich lief an der halb geweißten Wand entlang und kam zur Nonnenunterkunft. Meine Nonne saß auf der Stufe vor dem Eingang und beobachtete etwa zwanzig Tempelhunde. Alle bemühten sich höflich um einen Platz am großen Blechtablett mit Reis und Sardinen, das sie ihnen hingestellt hatte. Ich blieb stehen, um ihnen zuzusehen. Ich sah kein Gerangel, hörte kein Knurren. Keiner kämpfte um die letzte Gräte. Da musste ich an John denken.
    Ich hätte gedacht, Nonnen würden einem weinenden Mädchen zu Hilfe eilen und ihr ein Taschentuch und eine Umarmung anbieten, doch diese Frau saß nur da und tat, als sähe sie nicht, dass ich mir die Augen ausheulte. Es dauerte einige Minuten, bis ich meine Stimme wiederfand und ihr berichten konnte, was passiert war. Sie versuchte, mich davon zu überzeugen, dass es Johns Karma war, speiste mich damit ab, dass sie es jetzt bestimmt besser hatte, was die Tragödie ihres vergangenen Lebens wieder wettmachte. So weit hatte ich noch gar nicht in die Zukunft gedacht. Irgendwer hatte unseren Hund ermordet. Ich fragte, ob Rache in diesem Leben denn gar keine Option sei. Wie zu erwarten, erklärte sie mir, der Mörder würde seine Quittung in einer späteren Inkarnation bekommen, doch das half mir kein bisschen. Ich wollte, dass der Mörder seine Quittung hier und jetzt bekam, damit ich dabei

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