Der Tote trägt Hut
Formen an. Was wollen Sie unternehmen?«
»Sobald ich dazu komme, werde ich den Major anrufen, um ihm davon zu erzählen. Zuallererst müssen wir feststellen, ob nicht doch Lang Suan bei uns angerufen hat. Danach sehen wir weiter.«
Wir fuhren über die saftigen, grünen Hügel von Phato, flogen an Pak Song vorbei und erreichten die Westküste mit knurrenden Mägen. Bevor wir nach Ranong kamen, hielten wir an der großen Kreuzung am Highway 4 und bestellten uns gelben Reis mit Huhn und grüne Currysuppe, und obwohl der Lieutenant im Dienst war, gönnte ich mir ein kleines Bier. Zu meiner Überraschung war es so kalt, dass es wie Schneematsch aus der Flasche kam. Der erste Schluck ließ beinahe mein Hirn gefrieren und löste meine Zunge.
»Wie sind Sie eigentlich zur Polizei gekommen?«, fragte ich ihn.
»Wie meinen Sie das?« Er lächelte.
»Ich habe gesehen, wie rekrutiert wird. Ich habe die Protokolle gelesen. Wenn Sie beim Vorstellungsgespräch so tuntig gewesen wären, hätte man Sie nie im Leben eingestellt.«
Ich dachte, ich hätte es übertrieben. Es wäre nicht das erste Mal gewesen. Ich fürchtete, er wäre mir böse, und wollte mich schon entschuldigen, aber …
»Ich habe geschauspielert«, sagte er. »Wissen Sie, eigentlich wollte ich ein Exempel statuieren. Ich wollte Fernsehsender einladen. Jemanden vor die Kamera holen, der mir erklärte, wieso Menschen mit meinen Neigungen für die Polizei angeblich ungeeignet sind. Das hatte noch nie jemand gewagt. Natürlich gibt es viele Schwule in Uniform, aber die verstecken sich und wagen nicht, sich zu bekennen. Aber als es dann hart auf hart ging, habe ich gekniffen. Ich fürchtete, sie würden so tun, als müssten sie mich aus anderen Gründen ablehnen, und mich damit bloßstellen. Ich fürchtete, ich würde mein Ziel erreichen, aber meine Chance vertun. Also zog ich den Job meinen Prinzipien vor.«
»Und wurden Ihr Leben lang an abgelegene Orte wie Pak Nam versetzt.«
»Wie kommen Sie darauf, dass ich es mir nicht ausgesucht habe?«
»Ihr Talent ist hier vergeudet, Lieutenant.«
»Sie sind wirklich süß.«
Das Chainawat-Gebäude war ein bescheidener, zweistöckiger Steinklotz, unweit des betriebsamen Hafenviertels von Ranong. In der staubigen Seitenstraße gab es eine ganze Reihe ähnlich stilloser Bauten. Die Südchinesen bevorzugten schlichten Pragmatismus, wenn es um ihren Arbeitsplatz ging, bis sie so viel Geld wie möglich verdient hatten, dann bauten sie protzige, grell möblierte Häuser, in denen sie sich zur Ruhe setzen konnten. Irgendwann stellten sie fest, dass sie immer noch die meiste Zeit in der Arbeit verbrachten, denn im Grunde kann man ja nie genug Geld verdienen. In Thailand waren es die Chinesen, die den Süden aufgebaut hatten. Ohne sie lägen die Einheimischen immer noch in ihren Hängematten und schlürften Kokosmilch. Oder … nein. Im Grunde machten es die Einheimischen immer noch so. Die Chinesen dagegen arbeiteten gern. Das Zinn hatte sie im 17. Jahrhundert angelockt. Nachdem das ausgebeutet war, bauten sie die Eisenbahnlinie, um Gummi in die Hauptstadt zu transportieren. Entgegen dem, was Old Mel uns weismachen wollte, hatten die Chinesen die Ölpalme eingeführt, dicht gefolgt von Drogen, Glücksspiel und Prostitution. Und bei all den Einnahmen – ob legal oder nicht – war es nur angemessen, dass der Hof von Siam chinesische Buchhalter aussandte, die das Geld buchhalten sollten. Viele wurden beim Zählen so reich, dass sie als Gouverneure endeten. Geld und Macht waren unentwirrbar miteinander verflochten. Man dürfte in den vergangenen zweihundert Jahren nicht allzu viele Premierminister finden, in deren Adern kein Gutteil chinesischen Bluts floss.
Die Menschen aus dem Süden jedoch, Flüchtlinge aus Malaysia und Indien, standen stets vor demselben Dilemma – jener nicht zu beantwortenden Frage: Warum sollte man achtzehn Stunden täglich arbeiten, nur um Geld zu verdienen, wenn man sich doch einfach zurücklehnen und den Seeschwalben zusehen konnte, wenn man über die himmelhohen Kokospalmen staunen oder im Stillen auf die unterschiedlich schnellen Wolken wetten konnte? Kleine, dicke Kinder auf Fahrrädern spielten vor dem Chainawat-Gebäude, unter Aufsicht einer alten Dame, die so weiß und runzlig war, als hätte man sie mit einem Teppichmesser aus Styropor geschnitzt. Sie funkelte uns an. Diese Straße – wie ganz Ranong – roch nach Fisch. Wir betraten einen großen Empfangsbereich, in dem es nur eine Insel
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