Der Tote trägt Hut
Arny. »Ich meine, so was Ähnliches wie ein Sportstudio.«
»Gute Nachricht, kleiner Bruder«, sagte ich unsicher. Ich wusste, dass ein Sportstudio ihn noch weiter von seinen Pflichten ablenken würde, sodass mehr für mich zu tun blieb.
»Wo ist es denn, mein Junge?«, fragte Mair.
»Bang Ga. Nur zwei Dörfer weiter. Es ist nicht gerade California Fitness. Sie haben Gewichte und ein paar Geräte, aber es ist besser, als Bäume über den Strand zu rollen. Irgendein alter Mann hat dem Dorftempel Geld gespendet, und den Leuten fiel nichts ein, was sie noch brauchten. Also hat jemand vorgeschlagen, sie sollten lieber in die Gesundheit als in den Tod investieren. Er meinte, dann wären sie alle in besserer Verfassung für den Trip ins Leben nach dem Tod.«
»Klingt wie ein Fußballtrainer«, meinte ich.
»Muay Thai Boxen. Ich habe ihn heute kennengelernt. Er hat gefragt, ob ich Interesse hätte, seinem Trupp beizutreten.«
Das möchte ich sehen. Ein Tritt ans Ohr, und mein kleiner Bruder würde sofort losheulen. Er war kein Freund von Handgreiflichkeiten. Ich staunte immer wieder, dass Bodybuilding als Sport betrachtet wurde. Es gab sogar einzelne Kategorien. Das ganze Stolzieren und Posieren. Ich hätte Bodybuilder in dieselbe Kategorie wie Friseure gesteckt. Allerdings würde ich es nie wagen, so etwas zu Arny zu sagen.
»Und was hast du ihm geantwortet?«, fragte ich.
»Hab gesagt, ich würd’s mir überlegen.«
»Gut so. Triff keine übereilten Entscheidungen. Und du, Opa Jah? Was hast du heute so getrieben?«
Ich hoffte, wir könnten auf den ausgiebigen Redefluss des gestrigen Tages aufbauen, aber vermutlich hatte er sich erschöpft. Er blickte von seinem Reis auf und grunzte. Er brauchte Inspiration.
»Gut«, sagte ich. »Dann bin ich an der Reihe.«
Ich hielt mich nicht mit dem Besuch in Ranong auf, und sei es nur, weil der nicht so interessant gewesen war. Stattdessen schilderte ich den Tatort beim Feuang-Fa-Tempel, so wie Lieutenant Chompu ihn mir beschrieben hatte. Es geht doch nichts über die detaillierte Beschreibung eines Mordes, wenn deine Familie beim Essen aufhorchen soll. Einmal blickte Opa Jah auf, und ich dachte schon, er wollte einen Kommentar loslassen. Aber er überlegte es sich anders und schaufelte weiter Essen in sich hinein. Opa Jah hatte kräftige Knochen, aber die meisten davon konnte man sehen, und ich wusste überhaupt nicht, wo er das ganze Essen eigentlich ließ.
»Und Mair«, fragte ich, »wie war dein Tag?«
»Ed kam noch mal vorbei«, sagte sie.
Ich wünschte, ich hätte nicht gefragt.
»Er war gerade unterwegs, einen Dachstuhl zu bauen.«
»Ich dachte, er mäht Rasen.«
»Er ist auch Zimmermann. Er hat schon wieder nach dir gefragt.«
»Ich hoffe, du hast ihm gesagt … du weißt schon.«
»Es war gegen meine Prinzipien, aber – ja – das habe ich.«
»Brave Mair.«
Opa Jah grunzte und deutete mit seiner Gabel. Wir folgten der Richtung der Zinken. Da stand jemand vor dem Laden und wartete. Mair legte ihr Besteck beiseite und kümmerte sich um den Kunden.
»Der Laden brummt«, sagte Arny. Er sammelte die Teller vom Tisch und brachte sie in die Küche. Er war mit dem Abwasch an der Reihe. Opa Jah weigerte sich, seine Schale und den Löffel herzugeben. Offenbar wollte er das Muster aus der Keramikschüssel kratzen. Ich fragte mich, ob er wohl die gleichen Würmer wie Gogo hatte.
»Es gibt zwei Möglichkeiten«, sagte er unerwartet.
Fast erschrak ich, seine Stimme zu hören.
»Eine ist«, fuhr er fort, »am Tatort nach dem zu suchen, was nicht da ist, was gestohlen wurde: Messer, die in Schubladen fehlen, verschwundene Computer-CDs. Du hast solche Tatorte schon gesehen.«
Okay. Jetzt wollte er mir erzählen, wie ich einen Tatort betrachten sollte. Bei den einzigen Tatorten, die er je gesehen hatte, ging es um Stoßstangen und eingeklemmte Trucker. Ich hatte mehr echte Tatorte gesehen, als er je zu sehen bekäme. Na gut. Respekt vor dem Alter. Ich ließ ihn machen.
»Man rekonstruiert die Wege des Opfers und legt eine Liste von allem an, das da sein sollte, aber nicht da ist«, fuhr er fort. »Dann gibt es die zweite Möglichkeit. Man sucht am Tatort nach dem, was da ist, aber nicht da sein sollte: Fußabdrücke wären ein Beispiel, Zigaretten im Aschenbecher, ein vergessener Schirm, solche Sachen. Und manchmal ist das, was nicht da sein sollte, so offensichtlich, dass man es nicht sieht.«
Ich wusste nicht, ob das jetzt ein allgemeiner Vortrag sein sollte,
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