Der Tote trägt Hut
Augenblick des ganzen Morgens.
»Schön?«, sagte ich. »Schön? Wie krank sind Sie, dass Sie darin was Schönes sehen?«
Er nahm einen sehr männlichen Schluck Bier und betupfte seine Lippen mit einem Taschentuch.
»Was soll ich denn Ihrer Ansicht nach sagen?«, fragte er. »Dass es grausam und blutrünstig und vorsätzlich und krank ist?«
»Ja.«
»Na, selbstverständlich ›ja‹. Das stimmt alles. Niemand, der noch bei Sinnen ist, würde anders empfinden. Aber haben Sie es denn nicht gesehen? Ist Ihnen die Komposition nicht aufgefallen? Dieser Ausdruck? Der Mord war inszeniert. Es war eine dramatische Montage. Es war eine Tour de Force von Farben und Spektakel.«
Wäre ich in diesem Moment Polizistin gewesen und er der Manager einer heruntergekommenen Ferienanlage, hätte ich ihn gefragt, wo er am Samstagnachmittag gewesen war. Ich fühlte mich direkt unwohl, dort neben ihm zu sitzen.
»Was denken Sie?«, fragte er.
»Ich denke, es ist gut, dass Sie sich die Bilder nicht mit Major Mana und den Detectives aus Bangkok angesehen haben. Sie würden längst in einer Zelle sitzen.«
»Deshalb macht es ja auch so viel mehr Spaß, sie sich mit Ihnen anzusehen. Die anderen hätten nur die Dokumentation eines Mords gesehen. Sie und ich, wir sehen so viel mehr.«
»Ach ja?«
»Sicher. Es ist nicht nur ein Mord. Es ist wie ein Höhepunkt. Es ist ein lautes ›Welt, sieh dir an, was ich getan habe! Sieh, wie poetisch dieser Mord war!‹«
»Poetische Gerechtigkeit?«
»Genau. Es musste alles aufgezeichnet werden, weil es ein Gemälde ist, das der Mörder schon vorher im Kopf hatte. Der Mann oder die Frau hinter der Kamera musste den eigentlichen Mord nur noch mit der künstlerischen Vorstellung in Einklang bringen. Deshalb war es auch so wichtig, den Fotoapparat wiederzubekommen. Er war die Bestätigung dafür, dass der Gerechtigkeit im Zuge der göttlichen Ordnung Genüge getan wurde.«
»Mann oder Frau?«
»Bitte?«
»Sie sagten: ›Der Mann oder die Frau hinter der Kamera musste den eigentlichen Mord nur noch …‹«
»Hm. Hab ich?«
»Das wissen Sie genau. Was haben Sie auf diesen Bildern gesehen, dass Sie glauben, es könnte eine Frau gewesen sein?«
»Nicht, dass es einen Mann ausschließen würde, eher dass es eine Frau mit einschließt … der Handschuh.«
»Es war ein Ofenhandschuh. Ich dachte, er hätte ihn getragen, um etwas Farbe hineinzubringen.«
»Wohingegen ich dachte, er hätte ihn zur Tarnung getragen. Ein enger Handschuh oder gar keiner hätte sofort die Größe der Hand verraten, die Länge der Finger.«
»Das ist alles?«
»Ich weiß nicht. Wäre es eine Videoaufzeichnung, würde ich meinem Bauchgefühl noch mehr vertrauen. Aber da war etwas in der Art und Weise, wie das Messer gehalten wurde, dass damit eher gestochen als gestoßen wurde. Außerdem stand im Bericht der Gerichtsmedizin, dass die Wunden nicht sonderlich tief gingen. Es steckte nicht viel Kraft dahinter.«
»Ergo eine Frau. Ha! Und ich dachte, Sie wären einer von uns.«
»Und ich dachte, nur Schwule wären Mimosen.«
»Stimmt doch auch. Aber wenn sich die Möglichkeit eröffnet, dass der Mörder auch eine Frau sein könnte, bleibt nur eine Verdächtige übrig. Und das gefällt mir nicht.«
»Die Nonne? Sie mögen sie.«
»Ich kenne sie nicht gut genug, um sie zu mögen. Aber ich möchte gern glauben, dass die Zeit hier in der Provinz meine Instinkte nicht völlig ausgelöscht hat.«
»Unterschätzen Sie nicht die Kraft der Liebe.«
»Ach, Schnauze. Ich denke, ich werde der Nonne noch einen kleinen Besuch abstatten müssen. Sie wollen sie doch noch nicht verhaften, oder?«
»Woraufhin denn? Wir haben bisher nichts gesehen, was darauf hindeutet, dass der Mörder auch eine Frau sein könnte, weil wir ja überhaupt noch nichts gesehen haben, stimmt’s?«
»Stimmt.«
»Und das ist das nächste Problem.«
»Was denn?«
»Ich muss eine Möglichkeit finden, diese Bilder in den Fall einzufügen, ohne Sie der Gefahr einer dreijährigen Gefängnisstrafe auszusetzen, weil Sie sich unerlaubt an Beweismitteln in einem Mordfall zu schaffen gemacht haben.«
»Kommen Sie. Als ich mich daran zu schaffen gemacht habe, waren es noch nicht mal Beweismittel.«
»Nichtsdestotrotz haben Sie Polizisten belogen, und zwar … wie viele waren es? Zwölf?«
»Hören Sie sich das Band noch mal an. Nichts dergleichen habe ich getan. Ich habe nur Andeutungen gemacht.«
»Stimmt wohl. Im Grunde sind Sie ein ehrlicher Mensch.
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