Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
und effektivsten durch Gerede herumgebracht wurde – umgebracht, dachte Marlen: in Form von Kommentaren, Spekulationen, Erfahrungen, Meinungsaustausch jeglicher Art. Livia hatte mitbekommen, wie die Leute aus der Gruppe, die den Toten nicht gefunden hatte, sich mit dem Fund einer merkwürdigen Höhle mit einem Diwan brüstete. Daraus hatte sie geschlossen, daß der Diwan leer war und der Tote, Marlens Toter, mit diesem Toten identisch sein mußte.
»Irgend jemand hat ihn dort weggeschleppt.«
»Vielleicht hat er noch gelebt und sich selbst weggeschleppt und ist nicht mehr weit gekommen, und Salvatore und ich hätten Hilfe holen und ihn noch retten können«, sagte Marlen leise.
»Blödsinn«, sagte Livia bestimmt, »es war doch wirklich unheimlich genug, da unten mit deinem, entschuldige, mit diesem Salvatore. Du hast dir überhaupt nichts vorzuwerfen, wirklich nicht. Außerdem war ich es, die nicht zur Polizei wollte. Ich bin sicher, daß dieser Mann schon länger nicht mehr unter den Lebenden weilte.« Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Laß uns erst mal abwarten, was morgen in der Zeitung steht und was bei der Obduktion herauskommt.«
»Umberto Cacciapuoti, sagt dir das was?«
Livia schüttelte den Kopf. »Bei uns ein häufiger Name.« Sie stand auf, holte das Telefonbuch, schlug nach. Ein Drittel einer Spalte wurde von Cacciapuotis belegt, von Anna über Antonio bis zu Umberto, vermutlich genau dieser Umberto: Cacciapuoti Umberto und Fiorilla, Via Posillipo 17, dann die Telefonnummer. Livia klappte das Telefonbuch zu.
»Und du«, sagte Marlen. »Wie ist es dir gegangen da unten, du warst total aufgekratzt, überhaupt nicht schockiert, ich meine…«
»Im Gegensatz zu dir wußte ich ja schon, daß irgendwo da unten ein Toter liegt«, sagte Livia. »Deshalb war ich nicht besonders überrascht.« Sie schwieg, dachte nach. »Außerdem habe ich schon einige Tote gesehen in meinem Leben«, fuhr sie fort. »Auch wenn keiner von ihnen eines gewaltsamen Todes gestorben ist.« Ausgiebig betrachtet hatte sie sie, auf dem Totenbett, ihre Mutter, nächtelang, um sie in sich aufzunehmen, sie sich einzuprägen, und sich von ihr zu lösen, Abschied zu nehmen. Sie schluckte.
»Der Tote hat mich nicht schockiert. Aber das Warten unter der Erde, wo es nur feucht und dunkel und dreckig ist und die Dinge ihre Farben verlieren und merkwürdige Schatten werfen – wenn du mich fragst: eine einzige Kloake aus Bauschutt und Abfällen. Es war endlos. Ohne etwas tun zu können, inmitten dieser Leute, die fast alle Englisch sprachen. Bis die Polizei kam, die Sanitäter, die nicht Vorfahren konnten, sondern – wie alle anderen Sterblichen auch – die Treppen zu Fuß runter mußten, und bis wir wieder nach oben durften und dann unsere Adressen auf genommen waren, in diesem Zimmer der LAES…« Sie stieß die Luft aus.
Marlen hatte Abstand genommen, war einen Schritt zurückgetreten von den Ereignissen. »Vielleicht hat Salvatore ihn weggeschleppt«, murmelte sie. »Vielleicht wollte er nicht, daß man diesen Kerl auf seinem Diwan findet. Wäre doch logisch, oder? Ich weiß, ich weiß«, setzte sie mit einem Seitenblick auf Livia hinzu, »nicht alles, was für Frauen logisch ist, ist es auch für Männer, ich habe ja gar nicht gesagt, daß er ihn umgebracht hat – aber ich würde zu gern mit ihm sprechen…«
13
Das unterirdische Neapel entläßt seine Toten prangte geradezu beschwörend in dicken schwarzen Lettern oben auf der Seite. Darunter stand, ein wenig kleiner: War der Ermordete ein Opfer der Camorra?
»Wer hat keine Leiche im Keller«, sagte die Tabakfrau lakonisch und zog die Augenbrauen hoch. »Das ist zwar seit Jahren der erste Tote, den man gefunden hat, aber ich bin sicher, daß da unten noch mehr rumliegen. Werden ja genügend Leute vermißt.«
»Glauben Sie wirklich, daß die Camorra in die Sache verwickelt ist?« fragte Marlen. »Oder daß dieser, wie heißt er gleich, richtig, Cacciapuoti, zu irgendeinem Clan gehörte?«
»Wen interessiert denn, was ich glaube«, sagte die Tabakfrau in einem überraschenden Anflug von Zorn. »Und was weiß ich schon. Wir normalen Sterblichen erfahren sowieso nichts von dem, was wirklich passiert. Möglich ist alles. Obwohl diese Clans sich in den letzten Jahren nicht mal mehr die Mühe gemacht haben, jemanden spurlos verschwinden zu lassen. Heute läuft das anders. Heute ist es Mode, sich gegenseitig auf offener Straße abzuknallen, ohne Hemmungen, ohne Manschetten,
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