Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
Kugelschreiber auf den Schreibtisch. »Also?«
Marlen starrte ihn an und überlegte eine Sekunde zu gehen oder dem Kerl mit seinem unverschämten Gehabe einen der Ordner auf den Kopf zu schlagen. Der sollte doch froh sein über soviel Öffentlichkeit. Egal, es ging um Salvatore, sie war auf die Kooperation dieses jungen Spundes angewiesen.
»Ich bin nicht von der Zeitung«, log sie und bekam sogar ein Lächeln zustande. »Ich suche jemanden.«
»Unter der Erde womöglich?«
Marlen starrte ihn an.
»Sollte nur ein Witz sein«, lenkte der junge Mann mit halb gesenkten Lidern ein. »Aus aktuellem Anlaß sozusagen.«
»Wenn Sie hier sitzen, um Leute zu vergraulen, machen Sie Ihre Arbeit nicht schlecht«, gab Marlen zurück.
Der junge Mann verzog keine Miene, und Marlen beschloß, sich ebenso cool zu geben. »Er heißt Salvatore«, sagte sie, »und hat mal hier gearbeitet. Er hat mir viel von der Arbeit der LAES erzählt.«
»Salvatore? Und wie weiter?«
Genau das sei das Problem. Sie habe seine Telefonnummer verloren und wisse den Nachnamen nicht.
»Und wann soll das gewesen sein?«
» Boh .« Sie zuckte die Achseln. Er sei Ende dreißig, sagte sie und gab ihre übliche Personenbeschreibung ab.
»Kenne ich nicht«, brummte der junge Mann, schwenkte aber erneut auf dem Drehstuhl herum und zog einen weiteren Ordner aus dem Regal. Die Mitgliederlisten. Er fuhr mit dem Kugelschreiber die Seite entlang, blätterte um, blickte dann auf. »Hier gibt es zwei Typen namens Salvatore, aber die kenne ich nicht, das war ziemlich am Anfang. Hier steht es. Der eine war bis 1984 mit dabei und der andere bis 1989.«
Während Marlen überlegte, wie hoch wohl die Geldspende ausfallen müßte, um an Namen, Adressen, Telefonnummern heranzukommen, ging die Tür auf, und ein zweiter Mann trat ein. Wie sich herausstellte, war er einer der LAES-Mitarbeiter, die am Abend zuvor die Führung geleitet hatten. Er sah müde aus, hatte Ringe unter den Augen und die halbe Nacht unter der Erde zugebracht, bis der Tote geborgen und die Leute vom Mordkommissariat abgezogen waren. Schließlich kannte sich kaum jemand in den unterirdischen Gängen aus. Danach war er mit aufs Kommissariat gefahren, hatte seine Aussage über den Hergang der Dinge gemacht.
» Ciao Carmine «, wurde er von dem mürrischen Kollegen merklich freundlicher begrüßt. » Ti manca un caffè ?«
Der Mann, der Carmine hieß, nickte und fragte Marlen, ob sie auch einen mittrinke. Marlen nahm die Einladung – eine offensichtliche Aufwertung – dankend an. Dieser Carmine schien ein angenehmerer Zeitgenosse zu sein als sein Mitarbeiter, der es sich plötzlich nicht nehmen ließ, den Gentleman zu markieren und Marlens Anliegen an ihrer Stelle vorzubringen..
Carmine sagte, er habe im Laufe der Nacht so viele Fragen beantwortet, daß es ihm auf ein paar mehr auch nicht mehr ankomme. Marlen wiederholte die Personenbeschreibung Salvatores, vergeblich, denn keiner der beiden Salvatore aus dem Ordner kam in Frage.
Marlen war enttäuscht. Der Bar junge trat ein, sie kippten den Espresso hinunter wie deutsche Tresenprofis einen Klaren.
»Vielleicht hat er Ihnen einen falschen Namen genannt«, schlug der junge Mann, der von Carmine mit Vittorio angeredet wurde, eifrig vor.
»Warte mal«, sagte Carmine mit rauchiger Stimme und rieb sich mit dem Mittelfinger über den Nasenrücken, »da war noch ein anderer, auf den deine Beschreibung zu treffen könnte, aber der ist nie Mitglied gewesen. Ist schon ein paar Jährchen her. Der ist ein paar Monate zu unseren Vorträgen gekommen und hat Führungen mitgemacht. War sehr interessiert. Netter Typ, sehr aufgeschlossen. Und als wir dachten, er würde fest mitarbeiten und die eine oder andere Sache übernehmen wollen, hat er sich plötzlich nicht mehr blicken lassen. Das gibt’s häufiger. Wenn’s ernst wird, wenn Arbeit ansteht, machen die Leute ‘ne Biege. Aber sein Nachname …« Er kratzte sich am Kopf, steckte sich eine Zigarette an, hielt auch Marlen das Päckchen hin.
»Nach so einer Nacht«, murmelte er entschuldigend, »braucht man das Gedächtnis der anderen.« Er ging zum Telefon, wählte eine Nummer, verhandelte in breitem Neapolitanisch und mit ausufernder Gestik mit einer unsichtbaren Person. Marlen sah, wie er sich mit der Hand vor die Stirn schlug, lachte, etwas auf einen Zettel kritzelte. Dann legte er auf, wandte sich Marlen zu. »Wie konnte ich so einen Namen nur vergessen. Delle Donne, so hieß er, Salvatore delle
Weitere Kostenlose Bücher