Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
Krankheit solle man unter allen Umständen auskurieren, sagte er, sonst schlage sie um so heftiger zurück. Und: am Samstag müsse sie wieder fit sein.
»Wieso? Was ist am Samstag?«
»Haben Sie das etwa vergessen?« Er mimte den Betroffenen, lachte über sich selbst und überreichte ihr ein Kuvert.
»Kleine Einladung. Samstag abend. Ich hoffe, Sie haben noch nichts vor.«
»Kommt drauf an«, gab sie kampflustig zurück. »Was wird gefeiert, wenn ich fragen darf?«
Er lächelte versöhnlich. »Ein runder Geburtstag. Halbes Jahrhundert. Eigentlich wollte ich ihn überspringen, aber meine Frau hat darauf bestanden.«
»Kompliment.« Livia überlegte. »Darf ich jemanden mitbringen?«
»Natürlich.« Er zwinkerte ihr komplizenhaft zu. »Auch zwei Männer, oder drei.«
»Ich meinte eigentlich eine Frau«, sagte Livia amüsiert.
»Oh«, Roberto schluckte, einen Moment lang blätterte sich sein Öffentlichkeitsgesicht auf wie die Seiten eines solide eingebundenen Buches im Wind – darin ein konservativer Biedermann – dann straffte sich sein Gesicht wieder, der Mann von Stadt und Welt gewann erneut die Oberhand und hatte eine tolerante Geste auf Lager. »Selbstverständlich auch eine Frau.«
Er drückte sich im Zimmer herum, suchte nach einem weiteren Ansatzpunkt für ein Gespräch. Sein Blick fiel auf die beiden Gemälde aus Livias Produktion, mit denen sie die Bürowände schmückte, eine Wechselausstellung, seit Anfang April die Porträts von einem Mann und einer Frau, Freunden von ihr, die gern Modell gesessen hatten, sich die Bilder aber selbst nicht leisten konnten.
»Interessant«, begann er unsicher, »äußerst eigenwillig, ich meine, man könnte an Karikaturen denken, aber es sind keine, ich meine, die Leute sehen verletzlich aus, bei der Frau diese ausgeprägten Falten oder bei dem Mann das Doppelkinn, nicht schön, aber so sieht man nun mal aus, ich meine, Sie bevorzugen offenbar die unschönen Seiten in den Menschen, nein, das ist das falsche Wort, ich meine, das Innerste wird nach außen gekehrt, wenn Sie wissen, was ich meine…«
»Ich weiß schon, was Sie meinen«, konterte Livia ironisch. War dieser Sermon als direkteres Friedensangebot zu verstehen?
Roberto faßte sich endlich ein Herz. »Hören Sie, tut mir wirklich leid, die Geschichte mit der unterirdischen Ausstellung, aber ich habe einfach nicht an Sie gedacht, schließlich ist nur ein neapolitanischer Künstler vorgesehen, das wird natürlich kritisiert, aber …« Er hob hilfesuchend die Arme, ließ sie fallen, sah sie an wie ein geprügelter Hund. »Tut mir leid.«
Livia nickte. Wenigstens hatte er sich endlich entschuldigt und die Sache angesprochen, ohne mit »Schwamm drüber« oder ähnlichem Blödsinn zu kommen. Das machte es zwar nicht besser, war aber ehrlicher. » Va bene .« Sie wollte sich wieder ihrer Arbeit zuwenden. Roberto kam näher und legte ihr die Hand auf die Schulter – eindeutig zuviel des versöhnlich Guten. Sein Blick fiel auf den Bildschirm. Er runzelte die Stirn.
»War die Datei nicht verschwunden?«
Livia nickte. Aber seit Pepe aus der Statistik ihr einmal bei der Suche nach verlorenen Daten geholfen hatte, pflege sie Kopien anzulegen.
Roberto stimmte ihr zu. »Natürlich. Gut. Auf die Idee hätten wir auch selbst kommen können, oder? Bei den vielen Netzabstürzen in Neapel…« Er wandte sich zur Tür, hatte es auf einmal eilig. Livia wollte ihn noch fragen, ob er einen besonderen Geburtstagswunsch habe, doch in dem Moment klingelte das Telefon, und Roberto hatte ihr Büro verlassen.
Sie riß den Hörer hoch, als könnte ihn ihr jemand weg schnappen. Es war Jean. Sie verabredeten sich zum Mittagessen in einer Trattoria an der Piazza dei Martiri.
28
Marlen hatte gekocht, und sie war schlecht gelaunt. Livia hatte sich ein typisch deutsches Gericht gewünscht. Aber bitte kein Labskaus! Der Besuch eines exquisiten Fischrestaurants an der Elbe war ihr noch deutlich in Erinnerung: und der undefinierbare, rötlichbraune Klacks Essensreste mit dem für sie unaussprechlichen Namen Labskaus auf dem edlen Porzellanteller auch. Da nützte es gar nichts, daß Marlen ihr die Zutaten einzeln aufgezählt hatte, keine Essensreste, sondern: Corned beef, Kartoffeln, Zwiebeln, saure Gurken, dazu rote Bete, Ei, Matjesfilet … Marlen kannte sich nicht aus mit typisch deutscher Küche. Sie konnte weder einen Schweinebraten zubereiten noch Sauerkraut oder eine Hamburger Fischsuppe. Also gab es Bratklopse mit
Weitere Kostenlose Bücher