Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
Thema satt hatte und begann, Marlen zu küssen.
»Hast du ein Alibi?«
Er stieß einen Pfiff aus. »Das ist eine der unerlaubten Fragen«, sagte er ernst und zog die Hand weg. »Aber ich will sie dir beantworten, sonst geht die Nacht vorbei und du bist eine von der Sorte, die nicht locker läßt: Nein, ich habe kein Alibi. Und bevor du weiterfragst: Nein, ich habe Umberto nicht umgebracht. Ein lückenloses Alibi, wer hat so etwas heutzutage schon, vor allem nachts? Du etwa? Ich jedenfalls nicht. Es sei denn, ich ließe mir eins machen. Ein Konfektionsalibi, gefälscht aus erster Hand. Ich war in der besagten Nacht allein, in der Wohnung eines Freundes. Keine Zeugen. Das muß reichen. Dir wenigstens.«
Er schwieg. Auch Marlen sagte nichts mehr. Jetzt waren sie doch aufs Glatteis geraten, hatten sich in der Gegenwart verfangen.
»Halt dich da raus«, sagte er noch einmal leiser, nachdrücklicher. »Fahr zurück nach Deutschland, schreib meinetwegen deinen Artikel über die Befreiung der Neapolitaner, über den drohenden Wassernotstand, über die notwendige Sanierung der Altstadt, aber laß die Finger von dieser Geschichte. Mit gewissen Leuten ist nicht zu spaßen.«
Marlen hatte die eindeutige Warnung, vor wem auch immer, verstanden. »In Ordnung«, sagte sie, was sich auf Salvatores Alibi bezog. »Ich weiß jetzt genug.«
»Man weiß nie genug«, spöttelte er erleichtert und zog sie zu sich herüber.
»Stimmt«, grinste Marlen, die jetzt auf ihm lag und sich rundum wohl fühlte. »Ist das Haus von Umberto und Fiorilla wirklich eine Hommage an die Malaparte-Villa auf Capri?«
»Natürlich«, murmelte Salvatore und versenkte sein Gesicht in ihren Haaren. »Wenn ich mir solch ein Haus nicht selbst leisten kann, dann muß ich meine Ideen eben bei anderen Leuten umsetzen, die sie sich leisten können.«
Und in wortlosem Einverständnis holten sie zum dritten Mal nach, was bei ihrem Ausflug unter die Erde nicht geklappt hatte, Gegenwart, reine Gegenwart.
36
Sowohl bei der Vespa als auch beim alten Fiat waren die Reifen platt. Sauberer Stich, wie Livia, die soeben von der zweiten prickelnden Nacht mit Jean zurückgekehrt war, säuerlich diagnostizierte.
»Jemand scheint mächtig daran interessiert zu sein, meine gute Laune zu untergraben und noch dazu meinen Geldbeutel zu plündern«, schimpfte sie vernehmlich, als sie zur Tür hereinkam. »Alle sechs Reifen aufgeschlitzt. Schweinerei! Managgia la miseria !«
Unwahrscheinlich, daß das Zufall war, Vandalismus irgendwelcher Jugendlicher. Schließlich standen die Fahrzeuge in einem Innenhof. Irgendwer mußte mitten in der Nacht über die Mauer geklettert sein…
»Vielleicht will dich jemand in deine Schranken verweisen«, sagte Marlen nachdenklich. »Uns einen kleinen, aber wirksamen Schreck einjagen.« Als Salvatore am frühen Morgen das Haus verließ, hätte er ohne Probleme die Reifen zerstechen können, dachte sie bei sich. Sie sah dafür zwar keinerlei Grund – es sei denn, er wollte verhindern, daß sie ihm folgte, was absurd war, denn als er ging, lag sie nackt im Bett, und außerdem war am frühen Morgen kaum jemand unterwegs, so daß es auf gefallen wäre, wenn sie sich ihm an die Fersen geheftet hätte, und überhaupt: undenkbar nach einer solchen Nacht. Aber vielleicht hatte Salvatore die Tür nicht richtig zugezogen? Hatte denn sie selbst nach dem überraschenden Auftauchen Salvatores die Tür überhaupt wieder verschlossen? Durchaus möglich, daß sie es vergessen hatte in dem Taumel. »Eins ist klar: Irgend jemand hat die Reifen zielgerichtet zerstochen!«
Livia war der gleichen Ansicht. Sie hatte sich in der Gasse umgesehen: alle anderen Autos waren intakt. »Was, nebenbei gesagt, ein Hinweis darauf ist, daß wir auf der richtigen Fährte sind«, sagte sie trocken.
»Kennst du eine Werkstatt, wo das schnell repariert werden kann?«
Livia nickte. Sie hatte alles bereits arrangiert. Massimo, der Handlanger der Gasse, würde sich darum kümmern. Gegen Mittag sind Fiat und Vespa wieder startklar, hatte er versprochen. Livia ging in die Küche, setzte die Espressokanne auf. »Schon gefrühstückt? Ich hab was mitgebracht.«
»Wieso bist du überhaupt so früh schon hier?« Es war Samstagmorgen, Marlen hatte eigentlich gedacht, daß Livia nicht vor zwölf auftauchen würde.
Livia verzog den Mund. »Jean mußte zum Flughafen. Dieser französische Bildhauer kommt heute an. Du weißt schon, wegen des unterirdischen Spektakels. Vermutlich kommen sie
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