Der Tote vom Kliff
Ist Herr Balzkowski da?«
»Ich kann doch nicht jedem Auskunft über unsere Gäste
erteilen.« Die Antwort klang weniger forsch.
Der Oberkommissar zog seinen Dienstausweis hervor und
hielt ihn auf Distanz in Richtung des Mannes. Der drehte sich zu einem Brett an
der Wand um, an dem die Zimmerschlüssel hingen. »Der ist auf seinem Zimmer«,
sagte er dann.
»Hat Herr Fixemer auch bei Ihnen gewohnt?«
Der Mann winkte ab. »Hören Sie mir bloß mit dem auf.
Solche habe ich gern. Erst reist er vorzeitig ab, und dann gab es auch noch
Ärger, weil er den Aufschlag für Kurzaufenthalte nicht entrichten wollte.«
»Wie lange war Herr Fixemer Gast bei Ihnen?«, mischte
sich Lüder ein.
»Der ist am Montag gekommen und Mittwoch nach dem
Frühstück plötzlich abgereist.«
»Würden Sie Herrn Balzkowski hinunterbitten?«, fragte
Lüder.
»Zimmer elf, erster Stock«, erwiderte der Mann und
verweigerte mit dieser Reaktion jede Hilfe.
Die beiden Beamten stiefelten die ausgetretene und
knarrende Holztreppe empor. Ein Hauch von Muffigkeit herrschte im engen Flur.
Eine einsame Lampe gab ein schwaches Licht von sich.
Lüder klopfte gegen das Holz der Tür. Nachdem sich
nichts rührte, versuchte er es noch einmal. »Herr Balzkowski«, rief er
halblaut. Kurz darauf hörten sie, wie sich der Schlüssel bewegte und die Tür
geöffnet wurde.
»Was ist?«, fragte ein Mann mit schütterem Haar und
eingefallenen Wangen. Er sah übernächtigt aus. Tiefe Schatten lagen unter
seinen Augen.
»Polizei. Wir würden gern mit Ihnen über Ihren
Kollegen Hubert Fixemer sprechen.«
»Ich wüsste nicht, was ich dazu sagen könnte«,
antwortete Balzkowski, trat aber zur Seite und ließ die beiden Beamten in den
karg möblierten Raum. Ein Bett, ein leicht windschiefer Holzschrank, der Tisch
und ein Stuhl mit einem zerschlissenen Polster bildeten das ganze Interieur.
Der Mann machte eine einladende Handbewegung. »Mehr kann ich Ihnen nicht
bieten.«
Er setzte sich auf das aufgeschlagene Bett. Es sah
aus, als hätte er beim Eintreffen der Polizisten darauf geruht. Sein Oberhemd
war zerknittert. Das lag sicher am Liegen und daran, dass er es nicht den
ersten Tag trug, dachte Lüder. Im Unterschied zu Große Jäger machte Balzkowski
keinen ungepflegten Eindruck. Das mehrfach benutzte Oberhemd schien ein Indiz
dafür, dass der Mann schon länger auf Sylt weilte als ursprünglich
beabsichtigt. Er hatte zu wenig Wäsche mitgebracht.
»Ich habe von Huberts Ableben gehört«, sagte
Balzkowski mit müder Stimme. »Warum er sich erschossen hat … Ich verstehe es
nicht. Diese Woche haben wir noch gemeinsam hier gesessen.« Er zeigte auf die
Bettkante. »Er hier, ich da.« Dabei wies er auf den Stuhl, auf dem Große Jäger
Platz genommen hatte. »Mittwoch früh war er plötzlich weg, ohne sich zu
verabschieden. Nicht einmal zum Frühstück ist er da gewesen. Den muss die Panik
erfasst haben.« Er seufzte und ließ den Kopf in die Hände sinken, die er mit
den Ellenbogen auf den Oberschenkeln abstützte.
Die Polizisten ließen ihm Zeit, bevor Lüder fragte: »Was könnte der Grund für seine Panik gewesen sein?«
»Hubert glaubte, alles wäre aussichtslos. Er war
richtiggehend deprimiert. ›Es geht nicht nur um mich und meine Familie, sondern
um die vielen Kollegen bei uns im Werk‹, hatte er gesagt. ›Die Älteren haben
doch keine Chance mehr auf dem Arbeitsmarkt.‹ Er wollte auch nicht wahrhaben,
dass sich die Lage zu bessern scheint.«
»Waren Sie mit Hubert Fixemer auf Sylt verabredet?«
»Wir hatten uns abgestimmt und wollten mit dem Senior
sprechen.«
»Der hat doch die Leitung der Hundegger-Unternehmen an
seinen Sohn abgegeben?«
»Der Junior ist ein Windhund. Dem geht es nur darum,
Kasse zu machen. Mit den Millionen, die er bekommt, macht er sich einen schönen
Lenz. Die Mitarbeiter, die das alles geschaffen haben, kümmern ihn nicht.«
»Haben Sie mit Konsul Hundegger gesprochen?«, fragte
Lüder, während sich Große Jäger bei diesem Gespräch zurückhielt.
Balzkowski schüttelte den Kopf. »Nein. Wir wussten,
dass er zum Segeln auf Sylt ist. Wir haben ihn aber nicht gefunden.«
»Sie waren in den Häfen?«
»Ja. Wir haben alles abgeklappert, was irgendwie nach
einem Hafen aussah.«
»Wann war das?«
Balzkowski überlegte. »Das muss Dienstag gewesen
sein.«
Lüder wechselte einen schnellen Blick mit Große Jäger.
An dem Tag hatte der Zeuge einen Unbekannten auf dem Anleger in Rantum gesehen.
Anhand der Beschreibung wurde das
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