Der Tote vom Kliff
Fahndungsfoto veröffentlicht, das Hubert
Fixemer offensichtlich zum Anlass genommen hatte, Selbstmord zu verüben.
Der Oberkommissar musste den gleichen Gedanken gehabt
haben. »Waren Sie auch in Rantum?«
Balzkowski überlegte einen Moment. »Kann sein«,
erwiderte er. »Wir sind überall rumgefahren. Ich habe mir nicht alle Namen
gemerkt.«
»Sind Sie stets zu zweit auf den Bootsstegen gewesen?«
Der Mann kratzte sich mit vier Fingern die wenigen
Haare, die ihm zwischen den Geheimratsecken geblieben waren. »Irgendwann war
ich müde. Ich bin gefahren, und nachher ist Hubert allein los.«
Große Jäger legte eine Pause ein, bevor er die nächste
Frage stellte. »Haben Sie oder Hubert Fixemer an irgendeinem Hafen etwas
mitgenommen?«
»Nein. Warum sollten wir?« erwiderte Balzkowski.
Plötzlich schien ihm doch etwas einzufallen. »Doch! Wo Sie es sagen. Das war
ziemlich am Ende unserer Tour. Da kam Hubert mit einem Tau in der Hand zurück.
›Das habe ich gefunden‹, sagte er. ›Das nehme ich für meinen Sohn mit.‹ Er hat
es in meinen Kofferraum gelegt.«
»Wie trug er das Seil?«
»Na – so zusammengerollt.«
»Was ist damit geschehen?«
»Als wir wieder im Hotel waren, hat er es umgeladen in
sein Auto.«
»Das können Sie einwandfrei bestätigen?«
Balzkowski nickte heftig.
»Wo waren Sie am Dienstagabend?«, mischte sich jetzt
Lüder wieder ein.
»Ich war mit Hubert zum Essen. Anschließend haben wir
noch ein paar Bier zusammen getrunken. Der Laden hieß … Ich habe es vergessen.
Warten Sie.« Balzkowski stand auf und kramte zwischen mehreren Papieren, die er
in der Seitentasche seiner Reisetasche verstaut hatte. »Hier.« Er wedelte mit
einer Gastronomierechnung. Fast schuldbewusst erklärte er: »Ich wollte
zumindest einen Teil der Kosten dieser Reise erstattet bekommen. Deshalb habe
ich die Belege aufbewahrt.«
Große Jäger nahm die Quittung entgegen und ließ seinen
Zeigefinger mit dem Trauerrand an der Seite abwärtsfahren. »Da haben Sie
ordentlich gebechert«, sagte er.
Balzkowski nickte geistesabwesend. »Das war wohl eine
Art Frustsaufen.«
»Haben Sie mit sonst jemandem gesprochen?«, fragte
Große Jäger.
»An dem Abend?«
»Nicht nur. Auch Dr. Gisbert Hundegger ist auf Sylt.«
Balzkowski winkte ab. »Den haben wir erreicht. Der
logiert in einem piekfeinen Hotel in Rantum. Direkt in den Dünen am Meer. So
ein arroganter Hund. Nicht einmal einen Kaffee hat er uns angeboten. Der hat
uns glatt abgebügelt. In diesen schwierigen Zeiten, meinte er, muss man das
Übergeordnete sehen. Wenn es um das Wohl der Volkswirtschaft geht, wäre es zu
vertreten, ein paar Arbeitsplätze zu verlieren. Ein paar. « Balzkowski
schrie es fast heraus. »Der hat uns für dumm verkauft. Es geht ausschließlich
um seine Interessen. An die Beschäftigten denkt der nicht. Der Junior ist aus
einem anderen Holz geschnitzt als der alte Konsul. Das war noch ein
Unternehmer, der in der Tradition der Ruhrbarone an seine Arbeiter gedacht hat.
Ich komme aus dem Pott.« Um seine Worte zu unterstreichen, tippte er sich auf
die Brust. »Da sehen Sie noch heute die endlosen Siedlungen, die die Krupps und
wie sie heißen, für die Malocher gebaut haben. Aber heute …«
Balzkowski brach mitten im Satz ab.
»Was genau hat man mit Hundegger-Industries vor?«,
fragte Lüder.
Der Mann sah ihn lange an. »Da gibt es nur
Vermutungen. Genaues weiß man nicht. Ich bin Betriebsrat der Vereinigten
Dortmunder Hütte AG . Das ist ein
Stahlwerk. Es ist kein Geheimnis, dass die Chinesen und die Inder ganz heiß
darauf sind, sich Stahlwerke zusammenzukaufen. Die Schlitzaugen brauchen das
zur Deckung ihres Eigenbedarfs, während die Inder ein Stahlmonopol anstreben,
um den Weltmarktpreis zu beherrschen.«
»Kennen Sie Lew Gruenzweig?«
»Nicht persönlich, aber der Name steht für eine
Horrorvision auf dem Erdenrund.«
»Haben Sie mit Gruenzweig gesprochen?«
Balzkowski lachte bitter auf. »Das ist wohl ein
Scherz. Wie sollte ich an den herankommen?«
»Immerhin ist er auf Sylt.«
»Bei mir hat er sich nicht angemeldet.«
»Und er ist tot.«
»Tot? Sagen Sie bloß.«
»Das wollen Sie nicht mitbekommen haben?«, übernahm
Große Jäger die nächste Frage.
»Guter Mann. Ich habe ganz andere Sorgen.«
»Könnte Gruenzweig die Fäden im Hintergrund gesponnen
haben? War er an Hundegger-Industries und oder dem Stahlwerk interessiert?«
Balzkowski starrte ins Leere. »Ich weiß es nicht«,
sagte er leise. »Es wäre ihm
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