Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tote vom Silbersee (German Edition)

Der Tote vom Silbersee (German Edition)

Titel: Der Tote vom Silbersee (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Schmid , Christine Schneider
Vom Netzwerk:
waren Andys Freunde erschienen, farbige, verlorene Gestalten. Die meisten hatten Hunde bei sich. Und obwohl ein Schild an der Friedhofsmauer das Mitbringen von Hunden verbot, wagten die Kirchendiener kein Wort zu sagen. Lena stand mitten unter ihnen. Es gab noch eine verhärmte Frau mit ungepflegten Haaren, die am offenen Grab stand. Sonst hatte sich niemand auf diese Beerdigung verirrt. Vielleicht ängstigten auch die vielen Kampfhunde. Die Tiere trugen den vorgeschriebenen Maulkorb, sorgten aber trotzdem für eine Atmosphäre der Gefahr. Der große schwarze Pitbull mit dem weißen Fleck mitten auf dem Kopf sah aus, als vibrierten seine Muskeln vor lauter Eifer, sich auf ein Opfer zu stürzen. Lena war froh, dass sie Trixi im Hotel gelassen hatte. Neben dem Sarg am offenen Grab stand der Pfarrer. Er sah sich dauernd nervös nach den Hunden um und rückte mehrmals seine Brille zurecht. Es schien, als wäre es ihm unangenehm, für diese Leute zu predigen. Er sprach so undeutlich, dass Lena kaum etwas verstehen konnte. Als die verhärmte Frau aufschluchzte, wusste sie, dass das Andys Mutter war. Während der Pfarrer predigte, betrachtete Lena hinter ihm den Stamm der dicken Eiche, an dem sich Efeu hinaufschlängelte. Die Blätter nickten, wenn sie von Regentropfen getroffen wurden. Mit jedem Tropfen schwamm ein Teil von Andy dahin. Hätte sie etwas tun können, den jungen Punk zu retten? Warum ließ Gott es zu, dass wehrlose Kinder seelisch so misshandelt wurden? War es da nicht fast logisch, dass sie sich im Leben nicht zurechtfanden? Was hätte aus dem intelligenten Andy werden können, wenn er in einer anderen Familie geboren worden wäre? Lena fühlte sich hilflos und traurig.
    Sie erwartete, dass sich Andys Freunde irgendwie auffällig benahmen. Aber nichts geschah.
    Sogar Ratte war zur Beerdigung gekommen. Seine steinerne Miene verriet keinerlei Gefühle.
    Der Pfarrer nuschelte ein paar Worte, die sich anhörten wie: » Erde zu Erde. « Der Rest ging in Gemurmel über. Während er sprach, ließ er ein Häufchen Erde auf den Schrein fallen.
    Ein Punk nach dem andern ging am Grab vorbei. Doch statt Rosen warfen sie außergewöhnliche Gegenstände auf den Sarg: eine volle Flasche Jack Daniels, ein gelbes T-Shirt mit der Aufschrift Shit Happens und ein glitzerndes Hundehalsband mit Stacheln daran. Lena hatte Rosen besorgt.
    Die Zeremonie war zu Ende. Lena hatte den Eindruck, dass der Pfarrer froh war, dieses Ritual hinter sich gebracht zu haben. Er schüttelte Andys Mutter die Hand und ging schnell davon. Langsam zerstreuten sich die Punks. Auch Lena machte sich auf den Nachhauseweg. Die beiden Friedhofsgärtner begannen, Erde ins Grab zu schaufeln. Das dumpfe Geräusch vom Aufprall der Erdklumpen auf den Sarg empfand Lena wie einen Donnerknall. Sie kämpfte mit den Tränen. Das Sterben dieses Jungen war so sinnlos. Der Regen peitschte ihr ins Gesicht, und das kalte Nass schwemmte ihre Verzweiflung und ihren Zorn fort.
    Februar 1975
    Es war weit nach Mitternacht. Die Studentenparty war in vollem Gange. Der Alkoholpegel erreichte schwindelnde Höhen.
    »Das Leben ist so … so furchtbar öde, kein Kick, einfach nichts«, lallte der Student, den alle nur Segler nannten. Im schummrigen Licht der Bar sah sein Gesicht noch bleicher aus als sonst. Er trug eine viel zu große Brille, deren Bügelenden sich wie Mondsichel um seine abstehenden Ohren legten. Seine beiden Trinkkumpane prosteten ihm zu, indem sie die Bierflaschen aneinanderstießen. Der Medizinstudent Kalli, auf den einmal Papas Klinik warten würde, und der Dritte in der Runde, Student der Betriebswirtschaft und Juristerei, steckten die Köpfe zusammen.
    »Ihr wollt das pure Leben sehen? Den Geruch des Todes spüren? Wollt ihr das, meine Freunde?«, tat Kalli geheimnisvoll.
    Sowohl der schwarzhaarige Student als auch Segler ließen ihre Flasche mit dem des Mediziners in spe erneut zusammenknallen. »Jawohl, du Gott in Weiß, Herr über Leben und Tod, genau das wollen wir!«, klang es unisono.
    Kichernd und leicht schwankend stand der Mediziner Kalliauf. Er sah sich um, ob jemand Notiz von ihnen genommen hatte. Doch jeder der anwesenden Gästewar mit sich selbst beschäftigt.
    »Ihr müsst mir schwören, dass ihr keinem was sagt, nie, niemals!«
    Segler und der Schwarzhaarige hoben die Finger zum Schwur. »Wir schwören«, grölten sie im Chor.
    »Nicht so laut, Leute, keiner darf es hören! Und nun folgt mir. Ihr werdet etwas erleben, das ihr noch nie gesehen

Weitere Kostenlose Bücher