Der Tote vom Silbersee (German Edition)
habt.«
Der Wirtschaftsstudent grinste verächtlich. Er hatte bereits alles gesehen. Das Leben ödete ihn an. Vielleicht, weil er Dinge erlebt hatte, die seinen Kommilitonen eine Gänsehaut verursachen würden? Wenn er eines von seinem alten Herrn gelernt hatte, dann war es, niemanden hinter seine Fassade blicken zu lassen. Ein Pokerface aufsetzen. Seine Gedanken, seine Gefühle, die gehörten nur ihm. Das war sein Geheimnis, auf ewig.
Kalli lenkte seinen Porsche durch das nächtliche Nürnberg. Vorbei an der Stadtmauer, ordnete sich Am Plärrerin die linke Fahrspur Richtung Fürther Straße ein. Kurz darauf erreichte der Wagen das Ziel. Der junge Mann erkannte die Gegend natürlich sofort, in der die Fahrt endete. Er war schon mehrmals im Stadtteil Gostenhof gewesen, denn hier gab es einige Studios, die er ab und zu aufsuchte. Die hiesigen Damen waren für ein paar Extrascheinchen gerne bereit, seine ausgefallenen Wünsche zu erfüllen. So war es kein Wunder, dass seine Gedanken kurz abschweiften. Da gab es nicht nur eine Domina, sondern auch junge Dinger, noch unerfahren, die sich züchtigen ließen und ihn als ihren Herrn betrachteten. Beim Gedanken an sie merkte er, dass sich ein drängendes Kribbeln in seinen Lenden breitmachte. Er wurde ungeduldig, denn sein Trieb verlangte, gestillt zu werden. Diesmal würde er die Hure strenger bestrafen müssen als sonst. Er hatte vor Kurzem, ganz versteckt an der Frauentormauer, einen kleinen Laden entdeckt, der Sexspielzeuge der besonderen Art führte. Die gedachte er, bei nächster Gelegenheit auszuprobieren.
»Aussteigen, die letzten Meter gehen wir zu Fuß«, flüsterte Kalli. Seine Stimme bebte leicht vor Erregung. Er führte seine Kollegen an den mit Graffitos besprühten Fassaden der schäbigen Häuserfronten entlang, bis sie vor einem Eisentor standen. Als er gerade klopfen wollte, schoben sich zwei Schatten neben sie. Im Mondlicht sahen die drei Studenten zwei Muskelberge mit streichholzkurzen Haaren.
»Hi, Oleg«, sagte der Mediziner zu einem der Hünen, »das sind meine Freunde, Segler und …«
»Guten Abend«, unterbrach der schwarzhaarige Student. »Nett, Sie kennenzulernen.« Er grinste.
»Ich bürge für sie«, knatschte Kalli zwischen den Lippen hervor und gab seinem Kumpel einen Stoß in die Rippen. Oleg nickte und öffnete das Eisentor. Ein Bewegungsmelder tauchte den Vorplatz in schummriges Licht. Die beiden Schränke folgten den dreien unter die Funzel. Kalte Blicke musterten die jungen Männer. Der Wirtschaftsstudent fühlte, wie sich eine Gänsehaut über seine Arme ausbreitete. Das hier schien ein großes Ding zu sein. Die Sache versprach noch spannend zu werden. Er sah seine Begleiter an und bemerkte die freudige Erregung seines Medizinerfreundes. Gleichzeitig sah er aber auch, dass das bleiche Gesicht seines Kumpans Segler noch bleicher wurde. Was sie wohl erwartete?
Als der Mediziner den beiden Türstehern einige Scheine in die Hand drückte, öffnete sich eine weitere Eisentür mit einem leisen Summen. Die Kurzgeschorenen gingen schweigend voran und die drei Freunde folgten ihnen still durch mehrere Gänge. Ein undefinierbarer Lärm drang durch die Mauern. Sie lauschten fasziniert. Aus seinen Erfahrungen mit den Prostituierten wusste der Student, wie es sich anhörte, wenn Menschen in höchsten Qualen schrien. Doch irgendwie war das Geräusch trotzdem anders. Hinter einer weiteren dicken Eisentür standen sie plötzlich in einem Raum aus Betonwänden und -boden. Aufgeregte, heftig gestikulierende und schreiende Männer standen um einen meterhohen, hölzernen Ring. Nun wusste der Student, dass er solche Schreie schon einmal gehört hatte. Mit dämonischer Freude erinnerte er sich daran. Bessy, der Mops seines Vaters, hatte genauso geheult, als er ihn dem Kampfhund vor die Schnauze manövriert hatte.
Die nächste Stunde verlebte der Student wie im Rausch, obwohl er vollkommen nüchtern war. Er vergaß alles um sich herum. Sah zu, wie sich die Kampfhunde im Ring gegenseitig die Ohren abrissen, die Eingeweide herauszerrten, hörte die Knochen der Beine splittern. Längst wettete er mit. Schrie, tobte und feuerte den Hund an, auf den er gesetzt hatte. Als sein Hund als blutig zuckendes Bündel an ihm vorbeigeschleift wurde, versetzte er ihm einen Tritt.
»Scheißköter! Hast mich tausend Euro gekostet!«
Es war früher Morgen, als er wieder auf der Gasse stand. Jetzt wusste er es: Er hatte etwas gefunden, was ihm das Gefühl für das Leben
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