Der Tote vom Silbersee (German Edition)
klaglos als ein zitterndes Bündel Mensch vor ihm saß. Seine Stimme klang nun härter. »Du musst! Willst du ihm wirklich den Triumph gönnen, dich ins Grab gebracht zu haben?«
Sie ließ sich in einen Sessel fallen und starrte ins Leere.
»Du weißt, dass er kein guter Mensch ist! Du hast ihm erlaubt, so zu werden, wie er ist.«
»Nein«, stieß sie hervor und presste die Hände auf den Mund. Unerbittlich fuhr er fort.
»Doch! Weil du dir alles hast gefallen lassen, wurde er immer stärker. Du bist mitschuldig! Denkst du vielleicht, dass er dich achtet, wenn du alles tust, was er will? Das hat ihm nur gezeigt, dass du keine eigene Meinung, dass du kein Rückgrat besitzt.«
Der alte Arzt schwieg erschöpft. So hart hatte er eigentlich gar nicht zu seiner Patientin sprechen wollen.
Sie weinte jetzt stumm vor sich hin.
»Lass ihn nicht mehr davonkommen! Wehr dich – für dich selber und für alle die andern, denen er so viel Leid zugefügt hat.«
***
Als Lena erwachte, war es schon später Morgen.
»Du hast mich nicht aufgeweckt, kleine Trixi? Brav!«
Gegen Mittag fuhr sie mit leicht brummendem Schädel im Bus nach Fürth, wo sich die Lagerhalle der Fleischerei August Faustus befand. Trixi war bei Alois, dem Portier, der sie mit Freuden auf einen großen Spaziergang mitnahm. Er hatte frei und freute sich, den kleinen Hund zu betreuen. Lena hatte ihm etwas von einem Seminar und von Recherchearbeiten erzählt.
Lena stand hinter einem Baum und beobachtete die Lagerhalle. Pausenlos fuhren Lastwagen durchs Tor und luden ihre Waren an den verschiedenen Gates ab. Dort nahmen Arbeiter und Arbeiterinnen die Kisten in Empfang und verschwanden im Innern. Hoher Stacheldraht und Kameras sicherten das ganze Gelände.
»Frechheit siegt«, flüsterte sie sich selber Mut zu. Sie zog einen Block und einen Stift aus ihrer Handtasche und marschierte mit festen Schritten durch das Tor. Niemand beachtete sie. Lena schrieb eifrig einige Krakel auf den Block.
Wie konnte sie in das Gebäude gelangen?
Ihre Chance kam, als knapp neben ihr ein Auto mit der Firmenaufschrift anhalten musste, weil ein Lastwagen vor ihm die Einfahrt blockierte.
»Jetzt oder nie. Los, Lena, das ist die Chance!«, sprach sie sich erneut Mut zu. Sie öffnete geräuschlos die hintere Autotür. Der Fahrer hatte das Fenster heruntergelassen und schrie dem Lastwagenfahrer etwas zu. Lena machte sich hinter dem Sitz so klein wie möglich. Das Auto fuhr an und hielt bald darauf wieder. Der Chauffeur knallte die Autotür zu und entfernte sich. Vorsichtig lugte Lena durchs Fenster. Der Mann war in einem Container verschwunden. Die Aufschrift Büro interessierte Lena nicht, dafür die Lagerhallen, die gleich daneben begannen, umso mehr. Seltsam, kein Mensch war zu sehen. Lena schlich in eine Halle. Suchte Deckung hinter großen Paketen und Regalen. Riesige Tiefkühltruhen mit dicken Riegeln standen verteilt im Raum. Wo waren die Arbeiter? In den Hallen herrschte diffuses Licht. Lena beglückwünschte sich zu ihrem schwarzen Outfit. So verschmolz sie mit den Gestellen, auf denen übergroße Pappkartons standen. Jetzt sah sie es. In einer der Tiefkühltruhen brannte Licht. Als die Tür geöffnet wurde, verschwand Lena schnell hinter einer Kiste. Ein Mann, in einem weißen Overall, eilte zur Halle hinaus und öffnete das Tor. Es dauerte nicht lange, und ein Lastwagen fuhr direkt in den Lagerraum hinein und blieb vor genau dieser Kühltruhe stehen. Aus dem LKW quollen dick vermummte Gestalten und luden eilig Kisten aus.
»Bis heute Abend muss das alles erledigt sein. Der Laster kommt gegen zehn Uhr!«, rief der Fahrer den Männern zu. Diese blieben die Antwort schuldig und arbeiteten weiter.
Ich möchte zu gerne wissen, was die da machen. Lena sah auf die Uhr. War es schon halb fünf? Sie setzte sich im Schutz eines Kühlturmes hin und wartete. Wollte sie jetzt wirklich bis zehn Uhr abends hier ausharren? Eine Sirene ertönte, die Lena erschrocken zusammenzucken ließ. Türen gingen auf, und die Arbeiter verließen die Halle. Nur in der einen Box wurde die Arbeit anscheinend fortgesetzt. Lena konnte nicht genau sehen, was sie dort machten und ob der Laster noch ausgeladen wurde.
»Pause, Jungs, lasst uns eine rauchen gehen«, schrie eine Stimme. Eine Tür wurde aufgestoßen, vier Männer kamen raus, wobei einer einen Kehrichtwagen herausrollte und achtlos stehen ließ. Lena sah sich vorsichtig um, dann huschte sie zum Wagen und sah hinein. Sie zog eine der
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