Der Tote vom Silbersee (German Edition)
verschaffte ihm Genugtuung, wenn er sah, wie die Menschen vor ihm zitterten. Während er durch das Gebäude hastete, kreisten seine Gedanken um den jungen Mann, frisch von der Uni, hungrig auf den Job, der ihm bei einer Sitzung vor versammelten Kollegen Unglaubliches an den Kopf geworfen hatte. »Sie manipulieren die Menschen, Sie handeln unfair!« Nun, dieser ehrgeizige Junge würde nicht mehr lange hier arbeiten, dafür würde er schon sorgen. Er hatte die Macht dazu und das wusste er. Was für ein herrliches Gefühl.
26
Lena putzte sich ausgiebig die Zähne. Sie liebte dieses allabendliche Ritual.
»Ich muss mich morgen unbedingt mal wieder im Seminar sehen lassen. Bisher habe ich mehr durch Abwesenheit geglänzt. Es ist aber auch verdammt viel passiert.«
Gerade als sie ihren Pyjama anziehen wollte, klopfte es an die Tür.
» Hast du ein Rendez-vous, Trixi? « Die zuckte aber nur gelangweilt mit ihren Ohren.
»Guten Abend, Frau Wälchli, Sie wollten doch wohl nicht schon zu Bett gehen?«
»Frau Kommissarin?!«
Es war mehr eine Frage als eine Feststellung.
»Schönes Zimmer.«
Frau Nürnberger stolzierte auf und ab, öffnete die Terrassentür einen Spalt, winkte Lena zu sich und ließ sich auf einen Stuhl plumpsen.
»Frau Wälchli! Warum knien Sie sich so in diese Sache rein? Warum halten Sie sich aus der polizeilichen Ermittlungsarbeit nicht heraus? Das hier ist kein Film, den sie im Fernsehen anschauen. Wenn’s brenzlig wird, kommt auch kein Helferlein aus dem Gebüsch gesprungen. Also sagen Sie es mir, Frau Wälchli!«
Lena kratzte sich an der Augenbraue, ließ sich ebenfalls auf einem Stuhl nieder.
»Sie wollen auch immer alles ganz genau wissen, wie?«, grummelte Lena. Die Kommissarin warf ihren Zopf zurück und grinste: »Darum bin ich ja so gut in meinem Beruf! Ich hinterfrage alles. Neugierde ist mein zweiter Vorname.«
Lena zögerte. Sollte sie der Nürnbergerin ihre Beweggründe erzählen? Kannte sie die überhaupt selber?
»Ich hasse Ungerechtigkeiten und ich habe das Gefühl, dass die Polizei«, sie vermied, den Blick zu Frau Nürnberger, »dass einfach nichts beziehungsweise zu wenig getan wird.«
»Woher wollen Sie denn wissen, dass wir nichts unternehmen?«
»Es geht nicht voran!«
»Lena«, Frau Nürnberger ging einfach zum Vornamen über, »jeder Tote, jede ungewöhnliche Tötung wird selbstverständlich untersucht. Auch August Faustus, den Sie heute aufgesucht haben, ist genau überprüft worden.Wir wissen von den Gammelfleischvorwürfen. Sie sind haltlos.«
»Das verstehe ich nun wirklich nicht. Ich habe im Internet in verschiedenen Foren gelesen, dass Gesundheitskontrollen immer angemeldet waren. Da hatte der Kerl doch jede Menge Zeit, um nicht ganz einwandfreie Waren verschwinden zu lassen«, sagte Lena entrüstet. »Wollen Sie ein Glas Wein?«
Belu nickte. Eine Reihe schöner Zähne wurde sichtbar.
Die schaut ja richtig sympathisch aus, wenn sie lächelt,dachte Lena, während sie eine Flasche Roten entkorkte.
»Ach wissen Sie, Frau Kommissarin, ich war schon als Kind rebellisch. Bei drei Brüdern musste man sich durchsetzen. Und dann war da noch was.«
Lena grinste ein bisschen, als sie an die wilden Spiele mit ihren Brüdern dachte. Weitere Gedanken verbot sie sich vehement. Schon seit vielen Jahren.
»Haben Sie denn nicht gelernt, sich wie ein Mädchen zu benehmen?«, feixte Belu.
»Mich benehmen? Hören Sie, Frau Kommissarin, ich bin mit Popeye groß geworden. Der war ganzkörpertätowiert und rauchte Pfeife. Dann sah ich Tarzan nackt herumlaufen, Pinocchio hat gelogen, dass sich die Balken bogen und zu allem lebte Schneewittchen auch noch mit sieben Zwergen zusammen. Und Sie sprechen von bravem Mädchen?
Belus Augen wurden groß, sie griff sich an den Mund, um dann lauthals loszulachen. Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie hielt einen Daumen nach oben, japste nach Luft.
»Genial!« Belu bekam erneut einen Lachkrampf. Trixi begann zu kläffen und schnappte Lenas Schuh, mit dem sie dann quer durchs Zimmer rannte. Da die Kommissarin so herzlich lachte, musste Lena ebenfalls mitlachen. Es dauerte ein paar Minuten, bis sich die beiden Frauen beruhigt hatten.
»Nun aber mal im Ernst, liebe Frau Wälchli. Ich habe mich ein wenig über sie erkundigt.«
»Soso, ein wenig über mich erkundigt. Und, was haben Sie herausgefunden?«
27
Es war wirklich ein Millionendeal, den er da an Land gezogen hatte.
Je länger er in dieser renommierten Kanzlei arbeitete, desto
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