Der Tote vom Strand - Roman
euch diesen Journalisten gemeinsam vorgeknöpft?«
»Das kann ich dir sagen«, erwiderte Münster. Er lachte kurz auf, unterbrach sich dann aber. »VV hat ihm dermaßen viel Angst eingejagt, dass er am Ende sogar das Bier bezahlen wollte. Allein hätte ich ihn nicht so weit gebracht.«
»Und dann hat er einen Namen abgesondert?«
»Hat er«, sagte Münster.
»Und er blufft nicht?«
»Sieht nicht so aus.«
»Ich verstehe.«
»Wir haben aber noch nicht mit ihm sprechen können. Er ist in Urlaub, und ich möchte warten, bis er zurückkommt. Mir kam das richtiger vor, und der Kommissar fand das auch.«
Moreno fragte sich sofort, welche ihrer Kollegen gerade Urlaub hatten, und riss sich dann fast sofort wieder zusammen.
Will es nicht wissen, dachte sie.
Erst, wenn es wirklich sein muss.
»Ja, so sieht es aus«, sagte Münster. »Ich dachte bloß, du solltest es wissen.«
»Na gut«, sagte Moreno. »Bis dann.«
»Allerdings«, sagte Münster.
Diesmal hatte sie sich für einen Expresszug entschieden, aber die Abteile waren ebenso leer wie auf der Hinfahrt, stellte sie fest und suchte sich einen Fensterplatz.
Natürlich gab es auch keinen überzeugenden Grund, an einem solchen Samstag die Küste zu verlassen. Zwei Wochen, dachte sie. Von meinem Urlaub sind genau zwei Wochen vergangen, und jetzt fahre ich nach Hause.
Nicht direkt erholt. Keine vierzehn faulen Tage am Meer. Was zum Teufel hatte sie denn bloß gemacht? Nichts war so gekommen, wie sie sich das vorgestellt hatte, das immerhin konnte sie sagen.
Sie hatten ihren Freund (Typen? Liebhaber? Mann?) zum
Teufel geschickt, sie hatte rund um die Uhr Amateurdetektiv gespielt, und sie hatte nichts dabei erreicht.
Nicht das Geringste, verdammt noch mal.
Sie wusste nicht, was aus dem weinenden Mädchen in der Bahn geworden war.
Sie wusste nicht, wer Winnie Maas umgebracht hatte.
Sie wusste nicht, wer Tim Van Rippe umgebracht hatte.
Und auf der Wache von Maardam gab es einen Pädophilen.
Schön, dachte Ewa Moreno. Unzweifelhaft ein gelungenes Resultat.
V
38
22. Juli 1983
Als er wieder an der Schule vorbeikam, ließ ein Windstoß vom Meer ihn noch einmal stehen bleiben.
Ob es wirklich am Wind lag oder vielleicht an dem angestrahlten Schild mit dem Namen der Schule und der Beschreibung der verschiedenen Gebäude, wusste er nicht. Aber er blieb stehen und schaute das Schild an, und in ihm bewegte sich etwas. Eine Art vages Gefühl von Geborgenheit vielleicht. Sein Arbeitsplatz. In einer Sommernacht um halb zwei öde wie eine Wüste. Aber dennoch?
Er ließ sich auf eine der Steinbänke vor der Längswand der Turnhalle sinken. Stützte die Ellbogen auf die Knie, den Kopf in den Händen vergraben.
Was soll ich jetzt machen, dachte er. Was zum Teufel wird jetzt passieren? Warum sitze ich hier? Verdammt, verdammt, verdammt ...
Es waren einfach nur Wörter, die ihm durch den Kopf wirbelten. Dessen war er sich bewusst. Keine Gedanken. Keine Vorgehensweisen. Nur ein sinnloses Gewirr von Fragen und verzweifelten Rufen, die über einem Abgrund zu schweben schienen, in den er um nichts in der Welt hineinschauen durfte, in den er nicht hineinzuschauen wagte — wirbelnde Wörter, die nur dazu dienten, alles andere von ihm fern zu halten. Auf Distanz und fern. So war es eben. Er dachte plötzlich: Jetzt werde ich verrückt.
Nach Hause?, dachte er. Nach Hause zu Mikaela? Aber warum?
Warum sitze ich dann hier? Warum laufe ich nicht zur Brücke hoch und schaue ihr in die Augen? Wem? Wen meine ich? Winnie? Oder Sigrid? Ich habe ja doch alles verloren. Werde nie wieder herkommen ... nicht zu Mikaela, nicht zu Sigrid, nicht in die Schule. Ich habe verloren. In diesem Moment habe ich alles verloren ... alles verloren auf dieser verdammten Bank vor dieser verdammten Turnhalle. Ich habe es gewusst, habe es seit diesem verfluchten Abend gewusst, warum habe ich nichts unternommen, was soll ich denn machen, wenn alles zu spät ist? Verdammt. Es ist zu spät. Verdammt. Es ist schon alles zu spät ...
Er erhob sich. Seid still, sagte er zu seinen Gedanken. Still. Er holte einmal tief Atem und versuchte, sich ein letztes Mal zu konzentrieren. Ein letztes Mal, dachte er. Wieso denn letztes Mal?
Er ging jetzt weiter auf die Brücke zu. Ob sie noch da ist?, überlegte er. Sind sie noch da? Ist Sigrid hingelaufen? Wollte sie das? Es musste doch eine halbe Stunde vergangen sein.
Er beschleunigte seine Schritte. Überquerte die Birkenerstraat auf Höhe des Friedhofs
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