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Der Tote vom Strand - Roman

Der Tote vom Strand - Roman

Titel: Der Tote vom Strand - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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Wirklich irrsinnig variationsreich.
    Aber ihr Verhalten am Vorabend war wirklich seltsam gewesen. Absolut. Es sah ihr überhaupt nicht ähnlich, jetzt im klaren Morgenlicht sah sie das noch genauer. Es passte nicht zu Mikaela Lijphart, der Vernünftigen und Klarsichtigen — unter ihren Klassenkameradinnen waren mehrere mit einer Neigung zu allerlei New-Age-Kram, Millenniumsmystik und anderen dubiosen Dingen, aber sie gehörte nicht dazu. Nicht Mikaela, die Kluge und Zuverlässige. Und deshalb war es schon seltsam, das mit der Katze und dem Ziegelstein. Und ihre Reaktion.
    Und wenn jetzt auf ihrem Weg neue Zeichen auftauchten? Wie würde sie dann reagieren?
    Lächerlich, dachte sie. Gestern war gestern. Ich war müde. Todmüde und psychisch überanstrengt. Und wer wäre das nicht gewesen? Der Tag hatte es wirklich in sich gehabt, wie Helmut immer zu sagen pflegte. Und das nicht zu knapp.

    Als sie durch den Goopsweg ging, fiel ihr ein, dass sie in der ganzen Zeit noch nicht zu Hause angerufen hatte.
    Nicht dass sie es versprochen gehabt hätte, aber sie meldete sich sonst immer. In der Gasse hinter der Pizzeria entdeckte sie eine Telefonzelle, und sie hatte eine neue Telefonkarte in der Tasche. Sie ging langsamer und dachte nach.
    An sich sollte sie ja schon... welchen Grund hatte sie, ihrer Mutter und Helmut grundlos Sorgen zu bereiten?
    Einen sehr guten. Den hatte sie wirklich. Etwas egoistisch gedacht.
    Und sie war jetzt volljährig.
    Besser, sie gewöhnen sich gleich daran, dass neue Zeiten angebrochen sind, dachte sie. Zumindest einige Stunden würde sie mit dem Anruf noch warten. Oder vielleicht auch den ganzen Tag.
    Sie fing an zu pfeifen und ging an der Telefonzelle vorüber.
     
    Die Frau, die die Tür öffnete, sah ungefähr aus wie eine Mathematiklehrerin, die sie in der achten oder neunten Klasse unterrichtet hatte. Das gleiche lange Pferdegesicht. Die gleichen blassen Augen. Die gleichen strähnigen, verwaschenen, farblosen Haare. Für einen Moment war Mikaela Lijphart sich so sicher, es mit derselben Person zu tun zu haben, dass der Name ihr schon auf der Zunge lag.
    Dann aber fiel ihr ein, dass Frau Dortwinckel sich während der Weihnachtsferien das Leben genommen hatte — sie hatte ein halbes Dutzend Kristallgläser verzehrt, wenn die Gerüchte zutrafen —, und ihr ging auf, dass hier einfach nur eine gewisse Ähnlichkeit vorlag. Eine gewisse Ausstrahlung.
    Oder das Fehlen einer solchen. Vielleicht konnte der liebe Gott nur unter einer begrenzten Anzahl von Gesichtern wählen. Vor allem, wenn es um ein wenig verlebte Frauen mittleren Alters ging.
    Wie komme ich bloß auf solche Gedanken?, fragte sie sich. Und wo finde ich sie so schnell?

    »Ja?«
    Die Stimme klang scharf und unfreundlich. Hatte keinerlei Ähnlichkeit mit der von Frau Dortwinckel, an die sie sich durchaus noch erinnern konnte.
    »Verzeihung. Ich heiße Mikaela Lijphart. Ich hoffe, ich störe nicht, aber ich würde gern kurz mit Ihnen sprechen.«
    »Mit mir? Warum denn?«
    Jetzt war die Schnapsfahne der Frau zu riechen. Spontan trat Mikaela einen halben Schritt zurück und packte das Geländer, um nicht die Treppe hinunterzufallen.
    Um elf Uhr, an einem Sonntagvormittag. Schon betrunken? Warum...?
    Dann ging ihr auf, dass es etwas mit ihrem Vater zu tun haben könnte. Mit dem, was ihr Vater erzählt hatte. War es denn möglich, dass... ?
    Sie verlor den Faden. Oder ließ ihn freiwillig fallen. Die Frau zwinkerte ihr zu.
    »Warum willst du mit mir sprechen?«, fragte sie noch einmal. »Warum sagst du nichts? Bist du nicht ganz gescheit, oder kommst du von einer Sekte und sollst Seelen fischen? Ich habe keine Seele.«
    »Nein... nicht doch«, beteuerte Mikaela Lijphart. »Verzeihung, ich bin nur ein wenig verwirrt, in letzter Zeit ist so viel passiert, und ich weiß nicht so recht, wie ich mich verhalten soll. Es geht um etwas, das passiert ist, als ich klein war ... erst zwei Jahre. Etwas, über das ich mir Klarheit zu verschaffen versuche und bei dem Sie mir vielleicht helfen können. Ich wohne nicht hier in der Stadt. Darf ich einen Moment hereinkommen?«
    »Ich habe nicht aufgeräumt«, sagte die Frau.
    »Nur einige Minuten.«
    »Meine Haushaltshilfe hat mich am Freitag im Stich gelassen, hier ist nicht aufgeräumt, habe ich doch gesagt.«
    Mikaela Lijphart versuchte es mit einem verständnisvollen Lächeln. »Alles klar. Das macht doch nichts, und wir können
auch in ein Café gehen, wenn Ihnen das lieber ist. Wenn ich nur mit

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