Der Tote vom Strand - Roman
Langsam, wie einem dementen Patienten an einem verregneten Montag.
»Jetzt«, sagte er. »Ja, jetzt hab ich’s wieder. Wenn ich mich nicht irre, dann muss es so sein. Wie auch sonst?«
Moreno wartete.
»Wie, zum Henker, hieß sie noch? Ganz ruhig, gleich hab ich’s. Winnie irgendwas? Ja, Winnie Maas, so war das. Müsste jetzt ... ja, was hast du gesagt? Wie lange ist das her?«
»Sechzehn Jahre«, sagte Moreno. »Du meinst, du weißt etwas davon?«
»Hm«, sagte Mikael Bau. »Ich glaube schon. Ich war doch jeden Sommer hier, wie gesagt ... 1983 also? Ja, so wird es sein.«
»Sie war zwei Jahre, als sie ihren Vater verloren hat«, sagte Moreno. »Und am Freitag ist sie achtzehn geworden. Das behauptet sie zumindest.«
»Winnie Maas«, wiederholte Mikael Bau und nickte bestätigend. »Ja, das war wirklich eine unappetitliche Geschichte. Sie war ungefähr so alt wie ich. Ich kannte sie natürlich nicht, wir haben es nie richtig geschafft, mit den Eingeborenen bekannt zu werden ... so haben wir sie damals genannt. Wir haben nur selten mit ihnen geredet. Wir waren ein halbes Dutzend Vettern und Kusinen, das war wirklich mehr als genug Gesellschaft. Wer seine Ruhe haben wollte, musste aufs Klo gehen oder sich in den Dünen vergraben.«
»Wer war Winnie Maas?«, fragte Moreno ungeduldig. »Ich pfeife auf deine Verwandtschaft, wenn du verzeihst.«
Sie fanden Mikael Baus alten Trabi zwischen einem silbrig glänzenden Mercedes und einem rot glänzenden BMW. Wie eine müde Dohle zwischen zwei Adlern, dachte Moreno. Aber noch nicht ganz tot. Sie krochen in die Dohle. Mikael Bau ließ unter einer gewissen Rauchentwicklung den Motor an, und sie suchten sich einen Weg vom Parkplatz. Moreno hatte das Gefühl, dass er eine Kunstpause einlegte, ehe er antwortete.
»Winnie Maas wurde in dem Sommer damals ermordet«, erklärte
er schließlich und schaltete die Scheinwerfer ein. »Sie wurde auf der Eisenbahnlinie unter der Brücke tot aufgefunden ... Wir werden die Gleise in zwei Minuten überqueren, dann kann die Frau Inspektor sich selber ein Bild machen.«
Er lachte dabei, schien aber zu merken, dass es nicht echt klang.
»Verzeihung. Ja, sie lag also tot unten auf den Gleisen, und der Mörder saß neben ihr. Das zumindest ist die offizielle Darstellung.«
»Die offizielle Darstellung? Du meinst, es könnte auch noch andere geben?«
Er zuckte mit den Schultern.
»Wer weiß? Ich weiß noch, dass damals sehr viel geredet wurde, aber das war vielleicht kein Wunder. Ich glaube, das war der einzige Mord, den sie hier draußen seit dreißig oder vierzig Jahren gehabt hatten ... gegen Ende der fünfziger Jahre hat, glaub ich, ein Schmied seine Frau mit einer Eisenstange erschlagen. Klar, dass da alle wild drauflosspekuliert haben, und es war ja auch noch so richtig skandalös. Der ganze Ort war in Aufruhr ... tja, du kannst dir das doch sicher vorstellen?«
Moreno nickte.
»Und wer war der Mörder?«
»Ich weiß nicht mehr genau, wie er hieß. Aber es kann durchaus Maager gewesen sein. Er war Lehrer hier an der Schule, was die Sache natürlich nicht besser machte. Das Mädchen war seine Schülerin und ... tja, offenbar hatte er ein Verhältnis mit ihr.«
»Wirklich?«, fragte Moreno, und wieder schoss ihr die Pädophilenfrage durch den Kopf. Sechzehn Jahre? Das war doch sicher noch unter dem sexuellen Mindestalter, dachte die Polizistin in ihr. Damals jedenfalls.
Und auf jeden Fall war es moralisch nicht in Ordnung, dachten die Frau und der Mensch Ewa Moreno. Zu keinem Zeitpunkt. Lehrer und Schülerin, das war einfach übel als Kombination, aber trotzdem nicht gerade neu.
»Ich glaube, sie war noch dazu schwanger, ja, das stank wirklich zum Himmel, wenn man es recht bedenkt ... also, es war gleich hier.«
Sie bogen um eine lange Kurve und erreichten das Viadukt, das sich über die Bahngleise hinzog. Gut und gern zwanzig Meter Fallhöhe, schätzte Moreno. Ungewöhnlich hoch, aber das hatte sicher irgendeinen Grund. Mikael Bau drosselte das Tempo und zeigte nach unten.
»Da unten war es, wenn ich mich nicht irre. Angeblich hat er sie von hier oben hinuntergestoßen ... das Geländer war damals noch nicht so hoch. Ich glaube, das neue ist nach diesem Mord aufgestellt worden.«
Er fuhr dicht an das Geländer heran und hielt.
»Aber sie kann natürlich auch gesprungen sein«, fügte er hinzu.
Ewa kurbelte das Fenster nach unten und schaute hinaus. Versuchte eine nüchterne und sachliche Analyse. So, wie es
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