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Der Tote vom Strand - Roman

Der Tote vom Strand - Roman

Titel: Der Tote vom Strand - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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am Markt.
    So ein Inselausflug gehöre einfach mit zum Sommer, erklärte Mikael Bau, als Moreno anfing, sich skeptisch umzuschauen. Er machte das, so weit er zurückdenken konnte, mit Ausnahme des Jahres 1988, da war er als Austauschstudent in den USA gewesen.
    »Du warst jeden Sommer deines Lebens in Lejnice ... oder Port Hagen?«, fragte Moreno.
    »Mit dieser einen Ausnahme, ja. Wie gesagt. Warum fragst du?«
    Moreno gab keine Antwort.
    Nein, dachte sie. Ich habe ja schon entschieden, dass es mich nichts angeht.
    Mich nicht, und Mikael Bau schon gar nicht.
     
    Weshalb die Frage erst auf der Abendfähre nach Lejnice wieder aufgeworfen wurde. Und auch jetzt war Moreno nicht schuld daran.
    »Du hast den Schleimscheißer den ganzen Tag noch nicht erwähnt«, sagte Mikael Bau.

    »Genau«, sagte Moreno. »Case closed.«
    Mikael Bau hob eine Augenbraue.
    »Ach? Und wie ist das passiert?«
    »Hab ihn delegiert. Hab Urlaub.«
    Seine Augenbraue hing noch immer oben. Plötzlich fand sie, dass er aussah wie ein Schauspieler. Ein zweitklassiger Schauspieler in einer Schmierenkomödie, die jemand abzustellen vergessen hatte. Ob jetzt endlich der Vorhang reißt?, fragte sie sich.
    »Was ist los mit dir?«, fragte sie. »Du siehst bescheuert aus.« »Um mich geht es hier nicht«, erklärte er und setzte nun eine Art pädagogischer Miene auf. »Sondern um dich. Wenn Lampe-Leermann ein abgeschlossenes Kapitel ist, dann möchte ich doch wissen, worüber du dir jetzt den Kopf zerbrichst!«
    »Den Kopf? Ich? Was, zum Teufel, meinst du?«
    Sie spürte, wie eine Mischung aus Resignation und Verärgerung in ihr aufstieg. Und vielleicht auch Wut. Über sein vernünftiges Gerede; für wen hielt er sie denn eigentlich?
    Er schien ihre Reaktion zu bemerken und schwieg eine Weile. Schaute aufs Meer hinaus und trommelte mit Zeige- und Mittelfinger auf seinem Knie herum. Das war eine Unsitte von ihm, die ihr schon lange aufgefallen war, aber erst jetzt sah sie es als das, was es war. Eine Unsitte.
    »Den Kopf«, wiederholte er. »Mach dich nicht lächerlich. Entweder kriegst du mich langsam satt, oder es hat einen anderen Grund. Und mir wäre Letzteres lieber. Ich bin doch kein Idiot.«
    Plötzlich war sie bereit, ihm zuzustimmen. Mikael Bau war kein Idiot. Claus Badher, an den sie fünf Jahre vergeudet hatte, war ein Idiot gewesen, und deshalb verfügte sie über eine gewisse Erfahrung. Konnte Vergleiche ziehen und wusste, worum es ging.
    Und man muss wissen, wann man das erste Kapitel einer Beziehung beendet und das nächste aufschlägt, das hatte sie irgendwo gelesen und sich gemerkt. Verdammt, dachte sie. Kann
ich den Job denn nie vergessen? Muss der sich immer vor alles andere schieben?
    Sofort gab eine andere innere Stimme ihr Antwort.
    Es geht nicht um deinen Job, sagte diese Stimme. Es geht um Fürsorge und Mitmenschlichkeit. Um ein verschwundenes Mädchen und eine verzweifelte Mutter.
    Mikael Bau trommelte noch immer. Die Abendsonne brach durch eine Wolke. Moreno kniff angesichts der fast horizontalen Strahlen die Augen zusammen und dachte eine Weile nach.
    »Auf der Wache ist etwas Seltsames passiert«, sagte sie dann endlich.
    Das Trommeln verstummte. Dann prustete er los.
    »King von der Grenzpolizei«, sagte er.
    »Was, zum Teufel, hat King von der Grenzpolizei damit zu tun?«
    Er breitete die Arme aus. »Ruht nie. Schläft nie. Warum besitzen Frauen so selten richtige literarische Bildung?«
     
    Sie brauchte fünf Minuten für ihre Geschichte.
    Mehr nicht. Ein weinendes Mädchen im Zug. Ein unbekannter Vater in einer Anstalt. Eine besorgte Mutter auf einer Wache.
    Etwas, das vor langer Zeit passiert war.
    Als sie fertig war, hatte die Fähre angelegt, und sie entdeckte auf Mikaels Stirn eine senkrechte Falte, die sie dort noch nie gesehen hatte. Die Falte stand ihm nicht schlecht, aber sie wusste nicht, was sie bedeuten mochte.
    Er sagte nichts, als sie an Land gingen. Und als sie endlich alle Schmerbäuche und Dauerwellen hinter sich gelassen hatten, mussten sie sich vor allem darauf konzentrieren, den Stellplatz ihres Wagens wiederzufinden. Morgens hatte die Sonne geschienen, jetzt hing ein feuchter Dunst über dem Parkplatz, der die Perspektiven zu verschieben schien und alle Voraussetzungen auf seltsame Weise änderte.
    »Da hinten«, sagte Moreno und zeigte darauf. »Ich erkenne die Möwe oben auf dem Schuppen.«

    Mikael Bau nickte und ließ den Wagenschlüssel um seinen Zeigefinger wirbeln. Dann kam ihm die Erinnerung.

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